Gestern & heute

Hubert Stolz erzählt

 

Ein Wandler zwischen zwei Welten – der deutschen und der polnischen – ist Hubert Stolz*. Der heute 87-Jährige hat 35 Jahre in Polen gelebt, 52 Jahre in Deutschland. Mehrfach ist er von dem einen ins andere Land gereist, er spricht beide Sprachen fließend und hat beide Kulturen verinnerlicht. Und nicht zuletzt: seine zwei Kinder, beides in Polen geborene Söhne, sind dem Vater einige Jahre nach seiner Flucht nach Deutschland dorthin gefolgt.

Geboren wurde Hubert Stolz am 4. Dezember 1931 in der Hansestadt Hamburg. Wegen der unbeugsamen politischen Überzeugung seines kommunistischen Vaters floh die ganze Familie ein Jahr nach der Machtübernahme Hitlers vor den Nazi-Schergen über die polnische Grenze nach Zakopane, wo eine Schwester seines Vaters lebte. „Mein Vater war ein Hilfsarbeiter auf einer Hamburger Werft, aber ein kluger Kopf, dem man viel Achtung entgegenbrachte“, urteilt sein Sohn heute.

Als Deutschland 1939 Polen erst überfiel und dann dort einmarschierte und dadurch den Zweiten Weltkrieg auslöste, wurde die einstige Hamburger Familie auf seltsame Weise unerkannt und unbehelligt wieder „eingedeutscht.“ Sie waren im damaligen Sprachgebrauch „deutsche Volksgenossen.“ Hubert Stolz ging auf eine deutsche Schule in Zakopane, hatte aber auch viele polnische Freunde im Stadtviertel. Den Krieg sollte die Familie – Vater, Mutter, die elf Jahre ältere Schwester und Herbert – ohne Schaden überstehen. Richtig schlimm wurde es erst für sie nach dem Einzug der Roten Armee und den viele Monate andauernden Internierungen durch polnische deutschenfeindliche Behörden. Während seine Schwester und seine Eltern bis 1947 Polen offiziell verlassen konnten, blieb der Sohn noch viele Jahre bei seiner Tante und zog mit ihr von Zakopane zunächst nach Beuthen und kurz darauf nach Landsberg.

Hubert Stolz absolvierte eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker, heiratete in Polen 1955 seine erste Frau Maria und bekam mit ihr zwei Söhne. Erst viele Jahre später beschloss er, zu seinen Wurzeln nach Deutschland zurückzukehren. Bei seiner abenteuerlichen Flucht 1969 überquerte er im Zug die deutsche Grenze und fuhr direkt nach Westberlin, wo er heute noch lebt. Er heiratete 1979 ein zweites Mal, arbeitete als Maschinenbauer und war schnell in die deutsche Gesellschaft integriert.

Seit dem Frühjahr 2018 ist der 87-Jährige Patient der Pflegestation Jahnke, über deren pflegerische und hauswirtschaftliche Unterstützung er sehr erleichtert ist. Musikalisch begabt wie er ist, hat er schon vor vielen Jahren das Akkordeon- und Gitarrenspielen erlernt. Seine größte Freude ist jedoch die über 30 Jahre andauernde Mitgliedschaft im Shanty Chor Berlin. Im Dezember war der letzte große Auftritt. „Wir gaben unser Weihnachtskonzert  im Großen Sendesaal des rbb“, berichtet Hubert Stolz stolz. Und der Saal war ausverkauft und die Zuschauer sahen einen 87-jährigen Jahnke-Patienten am Akkordeon brillieren.

VH

* Name von der Redaktion geändert

Hubert Stolz spielt auf seinem Akkordeon