Im Brennpunkt

Zur Berliner Woche der Seelischen Gesundheit

 

Zu nichts mehr Lust haben, kaum etwas noch genießen können. Eine Empfindung innerer Lähmung, die immer größer und bedrohlicher wird. Ahnen oder gar wissen, dass es sich bei alldem um eine psychische Krise handelt. Hoffen, dass diese Krise bald vorübergeht. Auch wenn dieser beschriebene Gemütszustand nur ein Beispiel unter vielen Varianten ist: Seelische und psychische Krisen kennt nahezu jeder Mensch. Viele von uns haben auch gelernt, diese Krisen bei anderen Menschen oder bei sich selbst zu akzeptieren, sie gegebenenfalls sogar als Teil eines immer wiederkehrenden Zyklus zu akzeptieren. Krise ja – seelisch dauerhaft krank möchte jedoch keiner sein.

Und doch werden in unserer immer schneller, aufgeregter und vernetzter werdenden Welt immer mehr Menschen von psychischen Erkrankungen (in der Psychiatrie hat sich der wertneutralere und weniger stigmatisierende Begriff „psychische Störung“ durchgesetzt) befallen. Schon im Jahr 2013 waren sie auf den zweiten Platz der Ursachen für Krankschreibungen in Deutschland nach den Muskel- und Skeletterkrankungen vorgerückt – Tendenz steigend. Die World Federation for Mental Health erkannte dieses Phänomen schon sehr früh und rief 1992 mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation den internationalen Tag der seelischen Gesundheit, auch Welttag der geistigen Gesundheit genannt, ins Leben. Er wird seitdem jährlich am 10. Oktober begangen.

Rund um diesen Jahrestag findet gleichfalls jedes Jahr die „Woche der Seelischen Gesundheit statt. Eine Woche lang sind Bürger und Bürgerinnen in Berlin und bundesweit eingeladen, die vielfältigen ambulanten und stationären Angebote der psychiatrischen und psychosozialen Einrichtungen in ihrer Umgebung zu erkunden. Ziel aller Veranstaltungen ist es, über psychische Krankheiten aufzuklären, Hilfs- und Therapieangebote aufzuzeigen und die Diskussion anzuregen. Ob Vorträge, Workshops, Schnupperkurse, Fachtagungen oder Kunstaustellungen – alle Veranstaltungen tragen dazu bei, Berührungsängste abzubauen und vor allem Betroffene sowie deren Angehörige einzubinden.

Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit initiiert und organisiert seit 12 Jahren die „Berliner Woche der Seelischen Gesundheit“. Mit den Jahren konnten dafür viele Kooperationspartner gewonnen werden und der Veranstaltungskalender wuchs in Berlin stetig auf inzwischen rund 200 Veranstaltungen.

Seit 2010 ruft das Aktionsbündnis jährlich zu-dem auch deutschlandweit zur „Bundesweiten Woche der Seelischen Gesundheit“ auf. Viele Einrichtungen und Initiativen nutzen die Veranstaltungen, Aktionstage und -wochen, um sich zum Thema Seelische Gesundheit zu präsentieren. Das Aktionsbündnis steht dabei inhaltlich mit seinem weitreichenden Experten-Netzwerk sowie allgemeinen Info-Materialien zur Seite und koordiniert einen bundesweiten Online-Veranstaltungskalender. Mittlerweile beteiligten sich daran rund 50 deutsche Regionen und Städte mit rund 800 Veranstaltungen.

Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit ist eine bundesweite Initiative. Zu den rund 100 Mitgliedsorganisationen zählen die Selbsthilfeverbände der Betroffenen und Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Verbände aus den Bereichen Psychiatrie, Gesundheitsförderung und Politik. Initiiert wurde das Bündnis 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Es wird fachlich und finanziell vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

Zum Start der 12. Berliner Woche der Seelischen Gesundheit  veranstaltete das Aktionsbündnis eine öffentliche Talkrunde unter dem Motto „Gestresste Gesellschaft – was tun?“ im Maison de France. Über 100 Besucher waren an den Ku´damm gekommen, um von Experten aus verschiedenen Fachrichtungen mehr über das  Schwerpunktthema zu erfahren. Staatssekretär Boris Velter von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung eröffnete die Woche in Vertretung der Schirmherrin, Gesundheitssenatorin Dilek Kolat. Nach einer Video-Botschaft des Mediziners und bekannten Kabarettisten Dr. Eckhart von Hirschhausen gab es einen spannenden Impulsvortrag von Dr. Donya Gilan vom Deutschen Resilienz-Zentrum in Mainz. Sie stellte die seelische Widerstandskraft als ein proaktives Konzept gegen die allgegenwärtige Stressbelastung vor. Die gute Nachricht dabei lautet: Resilienz (Widerstandskraft) ist erlernbar und kann in jedem Lebensalter trainiert werden. Dr. Gilan sieht die Verantwortung für die seelische Gesundheit jedoch nicht nur bei jedem Einzelnen, sondern auch bei Arbeitgebern und Politikern, die den Rahmen für unser Zusammenleben vorgeben.

Die anschließende Expertenrunde wurde von Dr. Iris Hauth, ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee geleitet. Sie befragte Fachlaute aus verschiedenen Bereichen zu Ursachen und Lösungsansätzen für den gefühlten Dauerstress, in dem sich unsere Gesellschaft befindet. Handball Nationaltorwart Silvio Heinevetter plädierte für mehr sozialen Austausch und Zusammenhalt, wie er beispielsweise im Mannschaftssport praktiziert wird: „Für mich ist vor allem Sport in der Gemeinschaft ein Werkzeug, das unabhängig von Alter, Geschlecht und körperlicher Fitness für mehr seelische Gesundheit sorgen kann“. Prof. Andreas Bechdolf, Psychiater und Chefarzt am Vivantes Klinikum am Urban betonte die dringend notwendige Unterstützung der jungen Menschen in Berlin. Sie haben oft ein erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung und nehmen nur selten professionelle Hilfe in Anspruch. Abhilfe sollen offene Angebote wie die neue Begegnungs-stätte „Soulspace“ in Kreuzberg schaffen.

Bis zum 23. Oktober dauerte die Berliner Woche der Seelischen Gesundheit, und somit war sie in Wahrheit eine zweiwöchige Veranstaltung, die erfreulicherweise in allen Berliner Bezirken ihr Publikum fand.

VH

Foto: Aktionsbündnis Seelische Gesundheit

Plakat zur Woche der Seelischen Gesundheit