Möchten Sie unser Patient, unser Kunde oder unser Klient sein?

In Zeiten von wachsender Patientenaufklärung, gestiegenem Mitspracherecht und vielfachen Wahlmöglichkeiten von Leistungen stellt sich unweigerlich die Frage: sind Menschen eigentlich noch Patienten? Oder sind sie nicht vielmehr in den Mahlstrom der Geschichte und der Betriebswirtschaft geraten, um dort angelangt nüchtern als Kunden oder Klienten betrachtet zu werden? Um es vorab zu sagen, die Fachwelt in Krankenhäusern, Pflegediensten und Arztpraxen ist bei dieser Frage durchaus gespalten. Eine Tendenz ist jedoch insofern erkennbar, als dass Entscheidungsträger sich in der Außendarstellung gerne moderner sprachlicher Formen bedienen. Wer in erster Linie marktwirtschaftlich denkt, seine Anziehungskraft als Dienstleister und Arbeitgeber steigern möchte, neigt zum  Kundenbegriff. Dass die Großunternehmen hier Vorreiter sind, überrascht nicht wirklich.

An dieser Stelle möchten wir zunächst einmal eine Übersicht der unterschiedlichen Begriffe liefern. Als „Patienten“ bezeichnet man einen Menschen, der ärztliche, pflegerische und/ oder heiltherapeutische  Dienstleistungen  in Anspruch nimmt. Dabei kann es sich um Krankheiten oder auch Unfallfolgen handeln, an denen der Patient leidet und die behandelt werden. Das lateinische Wort patiens heißt übersetzt leidend oder erduldend.

Im Gegensatz dazu ist der „Kunde“ eine Person, die als Nachfrager ein Geschäft mit  einem anderen abschließt. Ein solches Geschäft ist etwa ein Kauf, eine Miete oder eine Dienstleistung. In der Regel zahlt der Kunde dafür Geld oder er tauscht gegen etwas anderes ein.

Mittlerweile häuft sich im Gesundheitssektor auch die Verwendung des Begriffes „Klient“ (cliens: lateinisch für Schützling, Anhänger). Dieser ist ein Leistungsempfänger bestimmter Beratungsberufe, so zum Beispiel von Rechtsanwälten und Notaren, von Steuerberatern oder auch von Sozialpädagogen. Pflegende und Therapeuten nutzen den Begriff immer öfter in Abgrenzung zum klassischen Patienten, um den Dienstleistungscharakter ihrer Arbeit zu betonen.

Genau an diesem Punkt soll mit einer inhaltlichen Bewertung begonnen werden. 

Eine Dienstleistung im Gesundheitswesen ist unserer Meinung nach nicht vergleichbar mit einer Dienstleistung, die ein Taxifahrer oder ein Hotelier erbringt. Es geht im Gesundheitswesen nämlich um die Befriedigung grundlegender, teils existenzieller menschlicher Bedürfnisse, wie zum Beispiel schmerzfrei zu sein oder einfach nur zu überleben. Hilfsbedürftige Menschen – Patienten nämlich –  sind in einer belastenden Situation und hoffen im Normalfall mithilfe ärztlicher und pflegerischer Maßnahmen wieder am Leben teilnehmen zu können.

Am ehesten könnte man bei medizinisch-pflegerischen Leistungen, die nicht krankheits- oder unfallbedingt sind, von Klienten einer Einrichtung sprechen. Menschen, die sich freiwillig einer Schönheitsoperation unterziehen oder spezielle Fitnesstrainings zum Abnehmen buchen, wären beispielsweise zu nennen.

Ein Patient kann aus verschiedenen Gründen auch nicht wirklich ein Kunde sein. Kaufmännisch gesehen wird der Mensch erst im Fall potenzieller Kaufabsicht zum Kunden. Aber kann man diese Absicht dem Patienten unterstellen, wenn etwa eine Operation ansteht? Nein, kranke oder verunfallte Hilfsbedürftige können über vieles nicht oder nur bedingt entscheiden, nicht jedenfalls über ihre Krankheit und die Diagnose, bestenfalls über die Behandlung und den Behandlungsort. Dass man den Patienten inzwischen etliche Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten einräumt, sie als mündige Personen mehr und mehr in die Abläufe einbindet, ist vollkommen richtig und war eine überfällige Notwendigkeit. Zu Kunden werden sie deswegen noch lange nicht.

Kunde ist man im Übrigen, weil man kauft und anschließend zahlt. Letzteres übernimmt ein Patient aber nur selten direkt. Außerdem, um ein Beispiel aus der Pflege zu nehmen, „kauft“ ein Patient auch „keine Pflege ein“, wie das in manchen Broschüren und Internetseiten suggeriert wird. Er kann – im Idealfall mit fachlicher Beratung des Pflegedienstes – Pflegeleistungen wählen. Aber auch diese Wahlmöglichkeiten sind keine Einkäufe im betriebswirtschaftlichen Sinn. Hier geht es nicht um das Lustprinzip, das über die Wahl zwischen Fisch oder Fleisch zum Mittagessen entscheidet, vielmehr gibt die Krankheit vor, welche Wahlleistungen sinnvoll sind.

Der Mediziner Dr. Otmar Kloiber schrieb vor einigen Jahren im „Ärzteblatt“: „Die Souveränität als Kunde ist beim Patienten eben nur eingeschränkt oder gar nicht vorhanden. Oder was ist mit der Souveränität eines 40-Jährigen mit Herzinfarkt, eines 70-Jährigen mit Oberschenkelhalsbruch, eines juvenilen Diabetikers, eines Sportlers mit Meniskusabriss? Welche Souveränität hat ein Kind, das an den physischen und seelischen Wunden einer Misshandlung leidet? Welche „Kunden“-Souveränität hat ein Suchtkranker? Und wo ist die „Kundenrolle“ beim lebenslustigen Mittdreißiger, dem wir die Diagnose HIV-positiv vermitteln müssen?“

Vielleicht sollten wir uns alle weniger von Kommerzialisierungs- und Wertschöpfungsdebatten beirren lassen. Wir jedenfalls werden die uns anvertrauten Menschen weiterhin Patienten nennen – oder möchten Sie lieber Kunde oder Klient sein?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung!

Anni Kuffer-Jahnke und Werner Jahnke

                                                                                       

 

Sind ältere Pflegebedürftige Patienten, Klienten oder Kunden?