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Nie war das Telefon wichtiger: Die Besucherinnen des Patiententreffpunkts halten zusammen

 

Nein, an so eine lange Auszeit kann sich Silke Redlich nicht erinnern. Die Betreuerin des Patiententreffpunkts der Pflegestation Jahnke ist seit mehr als 25 Jahren die personifizierte Seele des beliebten Seniorentreffs, und sie hat die Daten im Kopf. Mitte März trat Jahnke-Geschäftsführerin Rosa Lopez de la Rica mit der Bitte an sie heran, allen Besucherinnen das vorläufige Aus mitzuteilen. Das sei jetzt drei Monate her, sagt die Betreuerin. Eine unendlich lange Zeit für sie selbst, aber auch und vor allem für die drei Damenrunden, die entweder dienstags, mittwochs oder freitags in die Birkenstraße kommen, um sich gemeinsam eine paar unbeschwerte Stunden zu gönnen.

„Es wäre wegen der Corona-Infektionsgefahr viel zu riskant gewesen, die Treffen aufrechtzuerhalten“, bestätigt Silke Redlich. „Insofern war die Entscheidung richtig und nachvollziehbar.“ Die Betreuerin rief daraufhin jede einzelne Besucherin der drei Gruppen an und teilte mit, dass man sich für die Gesundheit und gegen ein riskantes Weitermachen entschieden habe. Dafür erntete sie allgemein großes Verständnis. Schließlich wusste man im März noch kaum, wie man mit der Pandemie umzugehen hat. Ein Verzicht auf die regelmäßigen Besuche war da natürlich die sichere Variante. Nicht nur das fortgeschrittene Alter sorgt dafür, dass die Damen in die Risikogruppe eingeordnet werden müssen. Etliche von ihnen haben Vorerkrankungen, die das Risiko noch einmal verstärken.

Silke Redlich selbst gibt gerne zu, sehr emotional mit der ganzen Situation umzugehen. „Die Gruppen sind mir ans Herz gewachsen, es fühlt sich tatsächlich wie Familie an. Deshalb gibt es nicht nur die Sorgfaltspflicht, sondern zugleich die Überlegung, wie kann es jetzt unter diesen neuen Voraussetzungen weitergehen? Wie können wir dafür sorgen, dass sich die Gruppen nicht ganz verlieren und die Damen zuhause nicht vereinsamen und sich die Hoffnung auf bessere Zeiten bewahren?

Bei der Beantwortung dieser Frage kommt ein Medium ins Spiel, das in diesen Tagen und Wochen eine kleine Wiedergeburt feiert: das gute alte Telefon-Festnetz. Die Betreuerin hatte beim vorläufigen Abschied allen Besucherinnen des Jahnke-Patiententreffpunkts zugesagt, sich einmal in der Woche telefonisch zu melden und für ein längeres Gespräch zur Verfügung zu stehen. Und wer Silke Redlich kennt weiß: eine Frau – ein Wort.

„Besuche waren ja nicht möglich, Kontakte mussten ja bis auf die allernotwendigsten beschränkt werden. Also habe ich zum Telefonhörer gegriffen und mich auf diese Weise gemeldet.“ Wie geht es dir, bist du gesund, ist bei der Familie alles in Ordnung? Mit diesen Rückversicherungen starteten zumeist die Gespräche, dann wurden andere Themen angesprochen, je nach Gemütslage und Verfassung. Die Corona-Pandemie, ihre Folgen und Auswirkungen waren stets Gegenstand der Telefonate, Ängste und Zweifel konnten besprochen werden, Mut wurde sich gegenseitig zugesprochen. Die Betreuerin versicherte dabei stets, dass im Falle eines dringenden Wunsches und Bedürfnisses jede Dame sich bei ihr melden dürfe, und sei es nur, um wieder einmal eine vertraute Stimme zu hören. Selten war das Telefon so wertvoll, nie war es über einen längeren Zeitraum gesehen wichtiger.

Doch Silke Redlich hatte schon im Vorfeld im Wissen um die große Vertrautheit der einzelnen Gruppenmitglieder untereinander eine weitere hilfreiche Entscheidung getroffen. Sie hatte nämlich für jede Gruppe Telefonlisten an alle Besucherinnen verteilt. Der Kontakt der freundschaftlich verbundenen Damen muss sich ja nicht notwendigerweise auf den einen Tag der Woche konzentrieren, an dem sie ohnehin zusammenkommen. Und die Idee der Betreuerin hat sich gerade jetzt während der Corona-Krise als gut und praktikabel erwiesen. Durch ihre wöchentlichen Telefonate bekommt sie viele Rückmeldungen davon, wer mit wem telefoniert hat.

„Es freut mich sehr, dass das Angebot, sich untereinander auszutauschen, angenommen wird“, sagt sie. „Das stärkt den Zusammenhalt auch in einer Phase, da die persönliche Begegnung ausfallen muss.“ Man sei im Prinzip durch die Krise noch enger zusammengerückt. Die Gespräche seien intensiver, offener, vielleicht auch intimer geworden –  eine bemerkenswerte Begleiterscheinung einer ansonsten beängstigenden, unwirklich anmutenden Zeit.

Die Frage, wann es denn wieder Besuche des Patiententreffpunkts geben wird, kann momentan niemand seriös beantworten. Aber es  werden bereits verschiedene Szenarien durchgespielt, zumal ja die Zeichen insgesamt auf Lockerung stehen. Von der Abstandsregel von 1,5 Meter zueinander wird jedoch vermutlich nicht so schnell abgerückt werden. Abstand ist und bleibt der größte Schutz vor Infektion.

Im Patiententreffpunkt könnte der ja in kleinen Gruppen von bis zu vier Personen noch eingehalten werden. Aber im Bus, mit dem Silke Redlich die Damen immer abholt und nach Hause fährt? Das alles muss genau berechnet und ausgemessen werden. Eines weiß die Betreuerin jedoch ganz genau: „Falls das noch nicht klappen sollte, dann werde ich vorschlagen, dass ich Hausbesuche bei den Damen  mache. Das darf man ja jetzt nun wieder, und das wäre ein erster Schritt hin zur ersehnten Normalität.“                               

VH

 

 

Ein Bild aus unbeschwerten Zeiten:die Dienstagsgruppe im Jahr 2018