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Spende gegen Kuchen – ein Lastwagen voller Hilfsgüter erreicht die Ukraine

 

Entsetzen, Fassungslosigkeit und Wut. An dieser Stelle könnte noch eine Reihe weiterer Wörter aufgeführt werden, die den emotionalen Zustand vieler Menschen weltweit über den brutalen und durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beschreiben. Trauer zählt sicherlich dazu, aber auch das Gefühl von Ohnmacht und kompletter Hilflosigkeit. Dass all diese Gefühle nicht zwangsläufig zu einer geistigen Lähmung führen müssen, sondern im Gegenteil positive Gedanken und Energien freisetzen können, soll die beeindruckende Hilfsaktion aufzeigen, die ein einzelner Mensch ins Rollen brachte.

Weronika Nichczynski ist seit einigen Monaten Mitarbeiterin der Pflegestation Jahnke. Wie viele andere saß sie eines Tages Anfang März vor dem Fernseher und sah eine Berichterstattung über das Kriegsgeschehen. Plötzlich wurde das Bild einer einschlagenden Bombe gezeigt und ein Kind, das in purer Panik laut schreiend davonlief. Weronika selbst ist Mutter von fünf Kindern, es ist daher wenig erstaunlich, dass sie sagt: „Dieses Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf.“ Als sie mit ihrem Mann Marius darüber sprach und dieser ihre schiere Verzweiflung über das Unglück der ukrainischen Menschen mitbekam, machte er sie auf ein Schwesterunternehmen seiner Firma in Tempelhof aufmerksam, die Hilfstransporte in die Ukraine organisieren wollte und um Sachspenden dafür warb.

Das war der Augenblick, in dem Weronika Nichczynski beschloss, diese Aktion zu unter-stützen. „Ich bin gut im Kiez vernetzt, Kita, Schule, Vereine“, teilt sie mit, „da war es nicht wirklich ein Problem, andere Menschen zu erreichen und um Teilnahme an der Spendenaktion zu bitten.“ Über die Internetplattform nachbarschaftshilfe.de und Vereinschats warb sie für ihre Idee, die sie so umschrieb: Wir wollen die Menschen in der Ukraine mit unseren gesammelten Hilfsgütern persönlich erreichen. Wir wollen alles sammeln, was dort dringend gebraucht wird: Decken, Schlafsäcke, Matratzen, Babynahrung, Säuglingsmilch, Windeln für Babys und für inkontinente Menschen, Handtücher, Lebensmittelkonserven, Verbandsstoffe, Drogerieartikel und vieles mehr. Abgabeort der Spenden sollte der Fußballverein Stern Marienfelde sein, in dem Weronikas Sohn Elias spielt. Der Verein hatte eine Umkleidekabine für jeweils einige Stunden am Wochenende 6. und 7. März als Lagerraum für die Sachspenden zur Verfügung gestellt.

Maxi, die Vereinsbetreuerin von Elias, hatte in der Zwischenzeit –  begeistert von Weronikas Tatkraft – angeboten, ihr unter die Arme zu greifen. Beide beschlossen nach dem Motto „Kuchen für Spende“, jedem Spender für die Ukraine an dem genannten Wochenende auf der Sportanlage ein Stück Kuchen zu übereichen. „Das führte dazu, dass ich am Freitag nach meiner Arbeit insgesamt sieben Kuchen gebacken habe“, lacht Weronika. „Insgesamt hatten wir dann 24 Kuchen dabei und 120 Donuts, die Marius noch noch gekauft hatte.“ Als dann völlig überraschend Bauer Lehmann aus Marienfelde die beiden Organisatorinnen ansprach und ihnen drei leere Scheunen zum Lagern anbot, falls die Umkleidekabine nicht ausreichen sollte, ahnten Weronika und Maxi, was da womöglich auf sie zukommen könnte.

Es kam dann auch, wie es bei der guten Organisation kommen musste. Das um mehrere Helfer*innen vergrößerte Team wurde regelrecht mit Hilfsgütern überrannt. Schon nach einer halben Stunde war ersichtlich, dass die Umkleidekabine bei dem großen Andrang aus allen Nähten platzen würde. Bauer Lehmanns Angebot – anfänglich vielleicht noch etwas belächelt – wurde mit großer Dankbarkeit angenommen. Die unmittelbare Nähe des Bauernhofs zum Fußballplatz war zudem ein logistischer Segen. „Es war überwältigend, die Reaktionen auf unsere Bitte zu sehen“, ist Weronika Nichczynski immer noch gerührt. Die Spender kamen mit Tüten, Taschen, Rucksäcken und ganzen Autoladungen. Es war ein Kommen und Gehen, und die Kuchen und Donuts hatten sich alle mehr als verdient.“

Doch nicht nur Hilfsgüter wurden abgegeben, auch Geldspenden.

Am Sonntagnachmittag waren nicht nur zwei von drei Unterstellscheunen von Bauer Lehmann gut gefüllt, sondern auch die Geldschatulle. Insgesamt 1.118,- Euro wurden gezählt, die schon zwei Tage später komplett für Drogerie- und Lebensmittel ausgegeben wurden. Am Mittwoch, dem 9. März wurden mit den kostenlos vom Behindertenfahrdienst Vogel-Kroll gestellten Transportern die Spendenware zum Endabnehmer gefahren,  der Firma Filter Müller in Marienfelde. Am gleichen Abend noch wurden alle Säcke und Kisten nach Warenklassen getrennt und beschriftet in einen LKW geladen und an die ukrainische Grenze transportiert, von wo sie von einheimischen Fahrern in hilfsbedürftige Regionen verteilt wurden. Um die Dimension des Wagens zu erklären: es war ein 7,5 Tonner mit 6 Meter Länge und 2,3 Meter Höhe bei einem Ladevolumen von 35 m³.

Was Weronika besonders gefreut hat, war die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber. „Die Pflegestation Jahnke hat nachdem ich Rosa von unserem Vorhaben erzählt hatte, sofort beschlossen zu helfen. Ich durfte mir so viele Inkontinenzwindeln mitnehmen, dass sie gerade in mein Auto passten.“ Sie sei noch nie so glücklich über Windeln für Erwachsene gewesen wie an diesem Tag. Ohnehin sei sie wegen des Engagements so vieler bekannter, aber auch wildfremder Menschen „drei Tage mit Gänsehaut“ durch die Welt gelaufen.

„Jeder einzelne von uns ist ein Wassertropfen“, sinniert Nichczynski am Ende unseres Gesprächs. „Doch zusammen sind wir tatsächlich ein Meer.“                                                      

VH

Foto: privat

Erschöpft, aber glücklich - Weronika und Maxi in der Umkleidekabine von Stern Marienfelde

Foto: privat

Beim Einladen in Bauer Lehmanns Scheunen