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Das große Comeback der Moabiter Straßenbahn

 

Die älteren Leserinnen und Leser von „Birkenblatt“ werden sich vielleicht noch erinnern: Es war am 1. Juni 1964, als die letzte Straßenbahn durch Moabit ihren Betrieb einstellte. Die Linie 2 fuhr bis zu diesem Datum von der Bernauer Straße bis zur Gotenstraße in Schöneberg. Dabei passierte sie tagtäglich hundertfach die Strecke u. a. durch die Perleberger Straße, die Rathenower Straße, Alt-Moabit und über die Gotzkowskybrücke entlang der die Gotzkowskystraße bis zur Franklinstraße. Ab dem 2. Juni 1964 übernahmen dann die Buslinien A84 und A90 ihre Transportaufgaben.

Im Gegensatz zur Verkehrspolitik in Ostberlin, wo die Straßenbahn zu der Zeit noch einen recht hohen Stellenwert besaß, wurde im Westen der Stadt schon seit den 1950er Jahren auf andere Transportmittel gesetzt. Als Argument gegen die Straßenbahn verwies die Stadtverwaltung gerne auf andere europäische Metropolen, in denen viele Strecken ebenfalls eingestellt worden waren. Die Straßenbahn galt seinerzeit als veraltet und überflüssig, da Berlin bereits ein gutes U-Bahn-Netz besaß, welches ausgebaut werden sollte. Der stark wachsende Oberflächenverkehr würde die Straßenbahnen, die vielfach auf eigenen Gleiskörper fuhren, letztendlich nur behindern. Im Oktober 1967 fuhr zum letzten Mal eine Straßenbahn in West-Berlin: die Linie Nummer 55 vom Bahnhof Zoo über Charlottenburg und Siemensstadt nach Spandau-Hakenfelde.

Mit der Jahrhundertwende fand wie in vielen anderen europäischen Großstädten auch in Berlin ein Umdenken statt. Es hatte sich nämlich erwiesen, dass bei einer Umstellung von Bus auf Straßenbahn mehr Fahrgäste den Personennahverkehr auf diesen Strecken nutzen. Die Straßenbahn bringt also viele Autofahrer, die bisher die Öffentlichen gemieden haben, zum Umsteigen. Vorteile für die Fahrgäste sind u. a. mehr Komfort und Platz als im Bus. Straßenbahnen gelten zudem als umweltfreundlich. Sie verschmutzen die Luft vor Ort nicht, ihr elektrischer Antrieb erzeugt keine Abgase – Strom kann aus regenerativen Quellen erzeugt werden. Zudem haben sie eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als Busse, insbesondere wenn sie auf eigener Trasse verkehren. Nicht zuletzt ist der Fahrgastwechsel durch mehr Türen und große Mehrzweckbereiche für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer deutlich schneller als beim Bus.

Auch Moabit wird in wenigen Monaten wieder eine „eigene“ Straßenbahn haben. Die Linie M10, die derzeit noch von der Warschauer Straße über den Hauptbahnhof zur Lüneburger Straße fährt, wird um eine Strecke von 2,2 Kilometern durch Moabit verlängert. Der Weg wird die Bahn von der Invalidenstraße kommend durch Alt-Moabit, dann rechts ab in die Rathenower Straße und schließlich links in die Turmstraße führen. Am gleichnamigen U-Bahnhof auf Höhe der Heilandskirche ist die Fahrt zu Ende. Insgesamt fünf neue Haltestellen werden entlang der neuen Trasse entstehen, alle komplett barrierefrei und mit Blindenleitsystem sowie elektronischen Fahrgastinformationen ausgestattet.

Seit Ende letzten Jahres laufen die Bauarbeiten an der neuen Strecke. Die unvermeidlichen Verkehrsbeeinträchtigungen nerven Anwohner und Verkehrsteilnehmer gleichermaßen, doch der Gedanke an die dadurch bald vorhandenen Vorteile lässt viele Nörgler doch verstummen. Zum anderen ist das Ende der Straßensperren und des Lärms absehbar. Schon im ersten Halbjahr 2023 soll die M10 erstmalig über die frisch verlegten Gleise fahren. Sieben Minuten wird die Straßenbahn für den neuen Abschnitt bis zum U-Bahnhof Turmstraße brauchen. Im 5- bis 10-Minuten-Takt werden bis zu 15.000 Fahrgäste pro Tag auf den 2,2 Kilometern erwartet. Sie alle profitieren von einer umsteigefreien attraktiven Ost-West-Verbindung zwischen Moabit, Hauptbahnhof, Mitte und Prenzlauer Berg.

Ein Verkehrsbauvorhaben ohne Kritik ist so gut wie unmöglich, daher seien an dieser Stelle auch die kritischen Stimmen erwähnt. Fachleute bemängeln, dass die M10 nur auf einigen Teilstücken der Strecke eine eigene Trasse bekommt. Auf mehreren Abschnitten muss sie sich den Platz mit dem Autoverkehr teilen. Das wiederum könnte die eigentlich gute Idee von einer schnellen und umweltfreundlichen Straßenbahn ins Gegenteil verkehren, wenn nämlich, wie befürchtet, viele Stausituationen entstehen sollten. Zum anderen wird beanstandet, dass die Bahn auf ihrem Weg vom Hauptbahnhof zur Turmstraße zwei 90-Grad-Kurven durchfahren wird. Einem möglichen Quietschen sehen jetzt schon viele Anwohner argwöhnisch entgegen.

Die Endstation Turmstraße soll aber nur von kurzer Dauer sein. Ab 2028 soll die Strecke über die Kaiserin-Augusta-Allee, den Mierendorffplatz und den Tegeler Weg bis  zum S- und U-Bahnhof Jungfernheide verlängert werden.                   

VH

                                                                                  

 

 

 

Foto: ©Commons

Die Straßenbahnen der Baureihe Flexity fahren auch bald durch Moabit