Brennpunkt

Chancen und Risiken der Telemedizin in Deutschland

 

Lange Wege und noch längere Wartezeiten kennzeichnen heutzutage vielerorts den Besuch einer Arztpraxis. Fachärzte vergeben Termine bis zu sechs Monaten nach einem Erstkontakt, Krankenhaus-Notaufnahmen in städtischen Kliniken sind regelmäßig überlastet. Und beobachtet man die Situation in strukturärmeren ländlichen Gebieten, dann registriert man fast deutschlandweit einen dramatischen Ärztemangel. So überrascht es keineswegs, dass der Ruf nach Alternativen zu herkömmlichen Behandlungsmethoden immer lauter wird.

Laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2016 wünschen sich schon damals immer mehr Menschen eine medizinische Fernbehandlung per Telefon und Videochat. In anderen europäischen Ländern wie der Schweiz und Dänemark sind Online-Sprechstunden und Telemedizin bereits fester Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung. Wofür steht eigentlich der Begriff Telemedizin? Was die Vorzüge und die Nachteile dieser modernen Behandlungsweise?

Unter Telemedizin versteht man die gesundheitliche Diagnostik und Therapie unter Überbrückung einer räumlichen oder auch zeitlichen Distanz. Dies gilt sowohl für die Kommunikation zwischen Ärzten, Therapeuten, Apothekern und Patienten als auch zwischen zwei sich konsultierenden Ärzten mithilfe der Telekommunikation. Das betrifft Briefwechsel, Telefonie, Videokonferenzen oder auch den Austausch von E-Mails im Internet. Das Wort Telekommunikation stammt aus dem altgriechischen Wort tele = fern und dem lateinischen Wort communicare = mitteilen, es beschreibt also eine ein Gespräch oder eine Konsultation aus der Distanz.

Fernbehandlungen waren deutschen Ärzten lange Zeit nicht gestattet, sind aber durch eine Änderung der Berufsordnung der Ärzte im Juni 2018 möglich geworden. Ausschließliche Fernbehandlungen, wie Videosprechstunden, sind seitdem dann möglich, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewahrt wird.“Entscheidend für diese Änderung war die Überzeugung, dass Fernbehandlungen den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient nicht ersetzen werden, aber  ihn gerade in ländlichen Regionen und bei Fachärztemangel ergänzen können.

Doch wie funktioniert Telemedizin im Alltag? Anhand dreier Beispiele soll das an dieser Stelle kurz erläutert werden.

Eine Patientin ruft bei einer Arztpraxis an und klagt über eine Rötung und Schwellung am Augenlid. Beide – Patientin und Ärztin – sind per Videoschalte miteinander verbunden. Die Ärztin schaut sich das Auge genau an und stellt zweifelsfrei fest, dass es sich um ein „Gerstenkorn“ handelt, das zwar schmerzhaft ist, in der Regel sich aber von selbst auflöst und wieder verschwindet. Sie schickt der Patientin ein Rezept für eine Salbe zu, die den Prozess beschleunigen soll, notiert die Untersuchung und Beratung für die Honorarrechnung und wendet sich einem anderen wartenden Pateinten zu.

Von Telemedizin spricht man auch, wenn Ärzte per Video miteinander kommunizieren. Ein Beispiel sind die bundesweiten Schlaganfallnetze: hier unterstützen Kliniken mit neurologischem Fachwissen andere Kliniken, die dieses Spezialwissen nicht haben, per Videokonferenz. Der zugeschaltete Neurologe hat Zugriff auf Computertomografie-Bilder und unterstützt den behandelnden Arzt vor Ort über eine Kamera bei der Untersuchung des Patienten.

Ein drittes Beispiel für Telemedizin ist die Betreuung von chronisch kranken Patienten, beispielsweise solchen mit einer chronischen Herzschwäche. Diese können auch zu Hause permanent überwacht werden. Hilfreich und immer häufiger im Einsatz sind hier mobile Messgeräte, die dem behandelnden Arzt die gemessenen Werte elektronisch übermitteln. Eine Verschlechterung des Zustandes soll so sofort erkannt und behandelt werden.

Ist also alles in schönster Ordnung? Können wir uns zurücklehnen im Glauben an die Telemedizin, die es schon richten wird? So einfach ist das natürlich nicht. Bei allem technischen Fortschritt gerade im Bereich der Diagnostik und der Überwachung darf nicht außeracht gelassen werden, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Persönliche Nähe, Zuspruch, ja auch Trost sind durch keine Geräte der Welt zu ersetzen. Besonderes älteren Menschen darf der ärztliche Kontakt von Angesicht zu Angesicht nie genommen werden.

Andererseits haben etwa 40 Millionen Deutsche nach einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Telemedizin im Auftrag des Landes Baden-Württemberg bereits zu Gesundheitsfragen im Internet recherchiert. Das spricht für eine Akzeptanz des neuen Mediums und könnte zusammen mit den Aussagen der bereits am An-fang erwähnten Studie der Bertelsmann-Stiftung ein Hinweis darauf sein, dass seitens der Bevölkerung  nichts oder nur wenig gegen eine weitere Ausdehnung der Telemedizin spricht. Tatsächlich kann die zunehmende Digitalisierung in der Medizin eine Chance sein, die Patientensicherheit zu verbessern und in ländlichen Regionen  bei einem Mangel an Fachärzten die Versorgung zu verbessern. Viele machen sich aber Sorgen um die Sicherheit ihrer Daten. Auch unter Experten ist die Frage, wie die Datensicherheit gewährleistet werden kann, weiterhin umstritten.

Hinzu kommt, dass die Digitalisierung weiter voranschreitet. Spätestens ab 2021 müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) zur Ver-fügung stellen und alle darüber informieren. Die Nutzung der elektronischen Patientenkarte ist für Versicherte allerdings freiwillig. Außer-dem sollen sie jederzeit die Hoheit über ihre Akte haben. Das bedeutet: Wir alle können selbst bestimmen, ob wir die Daten in der elektronischen Akte speichern lassen und wir können per Smartphone oder am Computer selbst unsere Akte einsehen, Daten außer den Stammdaten löschen und den behandelnden Ärzten eine Berechtigung zum Zugriff auf die Daten erteilen. Gespeichert werden können etwa Befunde, Diagnosen, Behandlungsmaßnahmen, Notfalldaten und der Medikationsplan.

VH

 

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Telemedizin am Beispiel Reha