Buchtipp

Sozialarbeit mit Krebskranken von Professor Peter Reinicke

 

„Die Anfänge einer gezielten Bekämpfung von Krebserkrankungen liegen in Berlin. Ärzte der Charité begannen vor über 100 Jahren, sich mit dem immer stärker ins Blickfeld geratenden Krankheitsbereich auseinanderzusetzen. Ernst von Leyden, Leiter der 1. Medizinischen Klinik der Charité, war der Mediziner, der diesem Gebiet besondere Bedeutung beimaß. Er war der Gründer des Berliner Krebsinstituts und des „Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Krebskrankheit“… Die von Berlin ausgehenden Aktivitäten wurden in anderen Regionen Deutschlands aufgegriffen.“

Mit dieser Einleitung beginnt Professor Peter Reinicke sein neuestes Buch, das 2019 erschienene Werk „Sozialarbeit mit Krebskranken“. Wie all seine letzten Publikationen ist auch dieses 357 Seiten lange Werk vom Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main, veröffentlicht worden. Der emeritierte Professor an der Evangelischen Fachhochschule Berlin im Lehrgebiet Sozialarbeit im Gesundheitswesen beschreibt hier, wie Anfang des 20. Jahrhunderts neben der medizinischen Versorgung der Patienten auch die Lösung der sozialen Probleme der Patienten als wichtiger therapeutischer Faktor angesehen wird.

So setzte sich in den 20er Jahren – wieder von Berlin ausgehend – nach und nach die Erkenntnis durch, dass soziale Fürsorge bei Krebskranken eine der großen sozialmedizinischen Herausforderungen der Zeit wäre. Ein Beispiel dafür lieferte 1922 Prof. Ferdinand Blumenthal, Arzt der Fürsorgestelle der Charié, mit seinem Schreiben an die Direktion der Charité: „Fast täglich kommen Fälle vor, in der die Unterbringung der Krebskranken in Krankenhäuser in Berlin sich äußerst schwierig, ja unmöglich erweist. Auch von außerhalb werden wir mit Anfragen in dieser Richtung bestürmt. Die Kranken müssen wochenlang warten, bis in der Krebsbaracke ein Bett frei ist und in dieser Zeit fehlt es meist an der nötigen Pflege. Hier ist es eine dankbare Aufgabe der Fürsorgeschwestern, in die ihnen von uns bezeichneten Wohnungen zu gehen und nach dem Rechten zu sehen, d.h. sich um Pflege und Unterkunft der Krebskranken zu kümmern. Ferner haben sie dafür zu sorgen, dass die Kranken, welche in unserer Behandlung sind, sich uns immer wieder vorstellen, damit eine erneute Behandlung Platz greifen kann, ehe es zu spät ist.“

Eine weitere Anerkennung für die damals noch junge Profession Sozialarbeit war der Vor-schlag führender Berliner Mediziner, die soziale Arbeit mit Krebspatienten in den Unterricht für Medizinstudenten zu integrieren. Das Hauptargument jener Zeit: Erst durch persönlich erworbene Kenntnisse von der sozialen Lage der Patienten wäre eine Problembeseitigung aus sozialmedizinischer Sicht erfolgversprechend. Inflation und Weltwirtschaftskrise sorgten jedoch in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts für eine starke Einschränkung bei der Finanzierung der geplanten Fürsorgestellen für Krebspatienten.

Peter Reinicke gehört deutschlandweit zu den profundesten Kennern der Historie der Sozialen Arbeit. Nahezu alle seine Publikationen thematisieren die faszinierende Entstehung und Entwicklung einer Profession, die, – wie er zurecht auch in seinem aktuellen Buch bemerkt –, „eng mit der Geschichte der Frauenbewegung verbunden“ ist. In den USA, den anglikanischen Ländern und in Deutschland entwickelten Frauen etwa zur gleichen Zeit Ideen zur Umsetzung sozialer Hilfstätigkeit. Hinsichtlich der Sozialarbeit für krebskranke Patienten sollte der Verein „Soziale Krankenhausfürsorge der Berliner Universitätskliniken“ eine Vorreiterrolle übernehmen.

Der 1919 von Hedwig Landsberg und Anni Tüllmann gegründete Verein hatte in seinen Anfangsjahren jedoch mit der energischen Kooperationsunwilligkeit des leitenden Verwaltungsdirektors der Charité, Ernst Pütter, zu kämpfen. Erst im Oktober 1930 unter der Leitung von Pütters Nachfolger Günther von Bamberg  kam es zu einer vertraglich geregelten Vereinbarung. Der Verein übernahm die bezahlte Krankenhausfürsorge in der Charité. Er war damit die erste Institution, die „mit ausgebildeten Krankenhausfürsorgerinnen, neben Ärzten und Pflegekräften“ Krebskranke betreute.  

Reinicke zeigt im Weiterverlauf auf, dass die Krebsfürsorge sich schon im Laufe der späten 20er und 30er Jahre rasch zum Schwerpunktbereich der Krankenhausfürsorge entwickelte. Neben der medizinischen Behandlung rückten die psychosozialen Aspekte immer mehr in den Vordergrund. Zur ständigen Aufgabe des – damals noch fast ausschließlich weiblichen – Fürsorgepersonals zählte die Ermutigung der Patienten, ihre Therapien fortzusetzen, deren Finanzierung sicherzustellen und auch Betreuungsmöglichkeiten für nicht mehr behandlungsfähige Patienten zu finden.

Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor aktiven Fürsorgerinnen der Pioniertage, wenn er zum Beispiel aufgeschriebene Erfahrungsberichte von Krankenhausfürsorgerinnen mit Krebskranken niederschreibt oder behandelnde Ärzte zitiert, die die Wichtigkeit der neuen Profession für die Erkrankten hervorheben. In der Chronologie der Ereignisse befasst sich Reinicke auch ausführlich mit Krebsfürsorge im Nationalsozialismus sowie in den beiden deutschen Staaten nach 1945. Er schließt sein faszinierendes Buch mit einem Ausblick auf die neuen Wege der Selbsthilfe und dem nationalen Krebsplan von 2008.                                  

VH

Titelseite des Buches "Sozialarbeit mit Krebskranken" von Professor Peter Reinicke