Gestern und Heute

Ulrich Baronski erzählt

 

Das Gefühl, dass das eigene Leben nur noch am seidenen Faden hängt, kenn Ulrich Baronski* schon aus jungen Jahren. Der 1929 in Ostpreußen geborene Jahnke-Patient geriet 1945 als 15-Jähriger in russische Kriegsgefangenschaft und wurde in ein Arbeitslager nach Sibirien transportiert. Der rasch abmagernde und völlig kraftlose Jugendliche wurde schon bald als untauglich für den Arbeitsdienst eingestuft – und zurück nach Deutschland geschickt. Sechs quälende Wochen lang dauerte der Transport über Moskau in irgendwelchen Eisenbahn-Waggons. Bis Frankfurt an der Oder ging die Reise, dann musste Ulrich aussteigen. Berlin war sein Ziel, dass er von dort aus nach strapaziösen Märschen zu Fuß erreichte.

Die Eltern und die beiden Schwestern waren zu der Zeit noch in seiner masurischen Heimat, doch dorthin durfte er nicht mehr zurück. Also galt es, sich allein durchzuschlagen. „Doch auf eine seltsame Weise, habe ich in meinem langen Leben häufig großes Glück gehabt“, sinniert der heute 92-Jährige. „Im völlig zerbombten Berlin sprach mich plötzlich ein Mann in einem Auto an und fragte, woher ich komme. ‘Gerade aus Sibirien, aber ursprünglich aus Ostpreußen‘ antwortete ich, und der Mann fragte mich sofort, ob ich auf dem Feld arbeiten könne, was ich bejahte.“ Kurz darauf kam er in Lichtenrade an, seiner neuen Heimat für zwei Jahre. Er wurde von dem Mann im Auto und seiner Frau aufgepäppelt und als Feldarbeiter angestellt. Kartoffelanbau war seine Hauptbeschäftigung. So kam er langsam wieder auf die Beine.

Später kam er über die Vermittlung einer Bekannten zur Firma Siemens und wurde nach bestandener Aufnahmeprüfung als Elektromonteur-Lehrling eingestellt. Insgesamt 40 Jahre blieb er dort, im Dynamo-Werk in Siemensstadt arbeite er an den Motoren für die U-Bahnwagen. Am Ende bildete er selbst junge Leute aus, ehe er mit 61 Jahren in den Ruhestand ging.

Seine Frau Ingeborg lernte er in einer Gaststätte beim Tanzen kennen. Das Paar heiratete 1959, bekam zu der Tochter, die Ingeborg mit in die Ehe brachte, noch eine gemeinsame Tochter. 25 Jahre hielt die Ehe, „dann wollte meine Frau eigene Wege gehen und ich ließ sie“, sagt er ohne Verbitterung. Jahre später ging er noch einmal eine wunderbare Beziehung ein mit Helga, geheiratet hat er aber nicht mehr.

Das Reisen war lebenslang sein großes Hobby. In seiner Küche hängt heute noch die Europa-Karte, die all die Strecken zeigt, auf denen Ulrich Baronski durch den Kontinent mit seinem Mercedes Bus tourte – von Portugal bis zum Nordkap. Nahezu jedes Land Europas hat er dabei gesehen und viele Eindrücke fotografisch festgehalten. Fotos hängen ebenfalls an der Küchenwand, doch sie zeigen andere Eindrücke. Auf ihnen sind Eltern, Großeltern und Geschwister zu sehen, alte Schwarzweiß-Aufnahmen ihres 70 ha großen masurischen Bauernhofs. Die ältesten Erinnerungen sind oft die schönsten. 

VH

*Name von der Redaktion geändert

Wohnt seit 63 Jahren in Moabit - Jahnke Patient Ulrich Baronski