Gestern und Heute

Hans Schirmer und die Stiftung Leben mit HIV und Aids

 

Nicht vielen Menschen ist es vergönnt, im betagten Alter auf ein Lebenswerk zurückzublicken. Hans Schirmer* kann das – und er darf zurecht stolz auf dieses Werk sein. Im Jahr 1997, vor einem Vierteljahrhundert, gründete der heutige Jahnke-Patient gemeinsam mit seinem langjährigen Lebensgefährten Heinz Bergner die Stiftung Leben mit HIV und Aids, deren Zweck von Anbeginn die Unterstützung von Menschen war, die sich mit dem HI-Virus infiziert hatten bzw. an der schweren Immunschwächekrankheit Aids erkrankt waren. Die Idee dazu kam kurz zuvor auf, als Heinz Bergner bereits unheilbar an Aids erkrankt war.

Der damals 65-jährige kinderlose Textilkaufmann wollte sein beträchtliches Erbe sinnvoll vermachen und es nicht an irgendeine x-beliebige öffentliche Einrichtung abtreten. So suchten er und sein Lebensgefährte Hans Schirmer nach einer passenden Lösung. Eines Tages traf Schirmer im Krankenhaus auf Christian Thomes, einen jungen Sozialarbeiter, der bei der ZIK – zuhause im Kiez gGmbH tätig war und sich schon damals intensiv mit dem Thema Wohnungsbeschaffung für Menschen mit HIV und Aids befasste. „Etliche intensive Gespräche später gründeten Bergner und Schirmerzur Förderung von ZIK die Stiftung Leben mit HIV und Aids“, berichtet Christian Thomes, der die Gründung mit vorbereitete und inzwischen Vorstandsvorsitzender der Stiftung ist. Während Heinz Bergner noch im Gründungsjahr an den Folgen seiner Aids-Erkrankung verstarb, engagiert sich sein früherer Lebenspartner bis zum heutigen Tag für das ZIK und „seine“ Stiftung.

Geboren wurde Hans Schirmer 1933 in Königsberg, der Hauptstadt und dem kulturellen Zentrum der einstigen preußischen Provinz Ostpreußen. Noch nicht einmal zwölf Jahre war er alt, als die große Flucht der Ostpreußen vor der anstürmenden Roten Armee einsetzte und alle Flüchtenden nur noch ans Überleben dachten. Endstation des langen und entbehrungsreichen Marschs Richtung Westen war Hamburg 1947. Im Jahr 1965 entschloss sich Hans Schirmer von der Hansestadt für einen Umzug nach Berlin. Er absolvierte eine Kaufmannslehre und arbeitete über viele Jahre als Verkaufsleiter für den Mineralölgiganten Aral.

1952 hatte er Heinz Berger in Hamburg in der Ausbildung kennengelernt, die beiden wurden 1965 ein Paar, was jedoch bei den Moralvorstellungen jener Zeit noch mit viel Heimlichkeit und Verbergen der Gefühle verbunden war. Gewohnt haben sie jedoch zusammen in der Perleberger Straße 27, in jenem Haus, in dem sich sowohl ZIK, die Stiftung Leben mit HIV und Aids als auch die Privatwohnung des Stiftungsgründers befinden. Dieses Haus und auch der gesamte Kiez bedeuten Hans Schirmer enorm viel. Wenn man mehrere Jahrzehnte in ein- und demselben Wohnhaus lebt und arbeitet, dann wird es automatisch Teil der eigenen Identität. Von hier aus ging der gebürtige Königsberger auch regelmäßig in seine geliebte Philharmonie, um den dargebotenen Konzerten zu lauschen. Heute ist er dort nur noch selten anzutreffen, doch dank seiner erlesenen Sammlung an Klassik-Platten mangelt es ihm auch zuhause nicht an großartiger konzertanter Musik.

Neben der Musik gilt Hans Schirmers Hingabe der Stiftung, die wiederum Gesellschafter des ZIK ist. Auch dank seines unermüdlichen Engagements und seiner finanziellen Zuwendungen konnten beide Einrichtungen wachsen und ihre Angebote entsprechend ausbauen. Schon 1998 zog die ZIK-Geschäftsstelle in die Perleberger Straße 27 und konnte von dort die zentrale Koordination der Projekte übernehmen. Immer dann, wenn dort eine Wohnung frei wurde, konnte ein Projekt nachziehen oder sich vergrößern. „Es zählt zu Hans Schirmers großen menschlichen Qualitäten, dass er zu keiner Zeit und in welcher Weise auch immer Druck auf dort wohnende Mieter*innen zuließ“, ist Christian Thomes voll des Lobes. „Da waren wir uns auch immer einig.“

Die Struktur wurde bewusst und durchdacht, aber sehr behutsam erweitert. ZIK erwarb am 15. Juli 2000 die ZeitRaum gGmbH, die psychisch kranke Menschen in den Bezirken Wedding und Neukölln betreut. Sie ging aus einem Verein hervor, der vor 25 Jahren mit der ersten ambulanten Betreuung psychisch kranker Menschen in Berlin begonnen hatte und ein wichtiger Teil des Enthospitalisierungsprogramms für psychisch kranke Menschen geworden war. Auch der ADV, der ZIK mitgegründet hatte, kam zur Organschaft, ein bedeutender Träger der Suchtarbeit in Berlin mit drei Reha-Kliniken und ambulanter Bereuung suchtkranker Menschen. Im gleichen Jahr erwarben die Stiftung Lebensfarben und die von Schirmer gegründete Stiftung Leben mit HIV und Aids Gesellschafteranteile der ZIK, um deren Arbeit langfristig abzusichern. Hinzu kam auch das FELIX Pflegeteam, ein ambulanter, Spezialpflegedienst vor allem für Menschen, die durch chronische Erkrankungen wie HIV/Aids und durch psychische Erkrankungen oder Sucht beeinträchtigt sind.

Über zwölf Standorte in sechs Berliner Bezirken verfügt ZIK mittlerweile, die Synergieeffekte sind bedeutend. Seelische Behinderung, psychische und chronische Erkrankungen, Suchtprobleme, Wohnungslosigkeit und Pflegebedürftigkeit stehen inzwischen im Mittelpunkt der Arbeit von acht gemeinnützigen Einrichtungen mit rund 800 Beschäftigten. Rechnet man alle Einrichtungen und Standorte zusammen, kommt man auf die stolze Anzahl von 1.600 Betreuungsplätzen für die gesamte Klientel.

Hans Schirmer ist auch noch mit 88 Jahren in „seiner“ Stiftung aktiv und steht dem gesund gewachsenen und auch dadurch liquiden Unternehmen bis heute mit Rat und Tat zur Seite. Mit der Pflegestation Jahnke hat er einen ambulanten Pflegedienst gefunden, der aus dem gleichen Kiez stammt, eine über 40-jährige Tradition vorweisen kann und zudem ein höchst professionell und liebevolles Pflegeteam hat. Und genau das hat so ein hochherziger Mensch wie Hans Schirmer auch verdient!

VH

*Name von der Redaktion geändert

 

Foto: ZIK

Hans Schirmer

Foto: ZIK

Das Haus in der Perleberger Straße 27