Im Brennpunkt

Hausbesuche – müssen Ärzte Patienten auch zuhause behandeln?

 

Hausärzte genießen im deutschen Gesundheitssystem eine zentrale Stellung. Bei ihnen laufen dank ihrer Lotsenposition die Fäden zusammen. Das heißt, sie sind im häufig etwas unübersichtlichen Gesundheitssystem die erste Anlaufstelle für fachliche medizinische Beratung und Hilfe. Hausärzte sind zumeist niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, also solche, die selbstständig, alleine oder mit anderen Ärztinnen und Ärzten eine medizinische Praxis oder Gemeinschaftspraxis betreiben. Die Fachrichtung ist in der Regel die Allgemeinmedizin oder die Innere Medizin.

Hausärzte kennen häufig die Krankengeschichte ihrer Patient*innen, sind aber auch durch ihre Vertrauensstellung nicht selten über deren Lebensumstände informiert. Durch ihren guten Zugang zu den Patient*innen können sie oftmals sogar eine psychologische Grundversorgung leisten. In all den Fällen, in denen ein spezielles Fachwissen erforderlich ist, überweisen Hausärzte an Fachärzte oder direkt in ein Krankenhaus zur weiteren Behandlung. Diese sind dann wiederum verpflichtet, den überweisenden Hausärzten die Befunde und weitere Informationen über die Patient*innen zukommen zu lassen, damit gemeinsam weitere therapeutische Schritte beraten werden können.

Aus den genannten Gründen haben Hausärzte daher eine besondere Verantwortung bei einer qualitativen und wohnortnahen medizinischen Patientenbetreuung. Aber sie haben vom Gesetzgeber auch einige Pflichten auferlegt bekommen. So gehören etwa Hausbesuche für den Hausarzt zum Pflichtprogramm. Im Bundesmantelvertrag Ärzte, der die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung  regelt, ist vermerkt: „Die Besuchsbehandlung ist grundsätzlich Aufgabe des behandelnden Hausarztes.“ Einschränkend gilt aber auch, dass „die Krankenkassen ihre Versicherten darüber aufklären müssen, dass sie einen Anspruch auf Besuchsbehandlung nur dann haben, wenn ihnen das Aufsuchen des Arztes in dessen Praxisräumen wegen Krankheit nicht möglich oder zumutbar ist.“

Dass die Hausärzte und -ärztinnen ihren Besuchsauftrag im Allgemeinen ernst nehmen, zeigt eine Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Demnach statteten bundesdeutsche Kassenärzte im Jahr 2018 insgesamt 24,6 Millionen Hausbesuche ab. Vergleicht man diese Zahl jedoch mit der Anzahl der Hausbesuche im Jahr 2009, ist ein Abwärtstrend klar zu erkennen. Neun Jahre zuvor waren es nämlich noch 30,3 Millionen Mal, dass sich die Ärzte auf den Weg zu ihren Patient*innen begeben hatten. Welche Gründe könnten hierfür in Frage kommen? Hausärzte können Hausbesuche ja – bis auf ganz dringende Fälle – auf Zeiten vor oder nach ihrer Sprechstunde verlegen, Zeit dafür dürfte also genügend vorhanden sein. Wenn man die Gesetzeslage kritisch hinterfragt, dann könnte der Verdacht aufkommen, einige Ärzte würden ein Schlupfloch nutzen. Die Verpflichtung zum Hausbesuch kann nämlich entfallen, wenn der Arzt wegen wichtiger Pflichten, wie anderen unaufschiebbaren Behandlungen und Notfällen, nicht abkömmlich ist. Zu diesen unaufschiebbaren Behandlungen zählt allerdings ein volles Wartezimmer nicht. Im Gegenteil: Notfalls müssen sie sogar das volle Wartezimmer warten lassen und den dringenden Hausbesuch vorziehen.

Nein, die stark sinkenden Zahlen bei den Hausbesuchen auf mangelnde Motivation der Ärztinnen und Ärzte zurückzuführen, würde dem Berufsstand nicht gerecht werden. Der Haken scheint vielmehr bei der Vergütung zu liegen – und das gleich in doppelter Weise. Jeder Hausbesuch bei einem Kassenpatienten wird zurzeit mit etwa 23 Euro verrechnet. Zuzüglich einer kleinen Fahrpauschale kommt eine Summe um die 25 Euro zusammen. Für An- und Rückfahrt, Parkplatzsuche und dem Hausbesuch selbst müssen in einer Großstadt wie Berlin dafür zeitlich zwischen 45 und 60 Minuten einkalkuliert werden. Zum Vergleich: Viele Berliner Handwerker berechnen für die Anfahrt alleine bereits 50 Euro, ohne mit der Dienstleistung an sich begonnen zu haben. Für Kassenärzte, die ja obendrein verpflichtet sind, wirtschaftlich zu arbeiten, ist das eine unvorstellbare Größenordnung.

Nun soll hier nicht der Eindruck vermittelt werden, dass die Ärzteschaft hierzulande am Hungertuch nagt. Nein, aber offensichtliche Missstände sollen und dürfen als solche benannt werden. Die Hausbesuchsvergütung hat ja für die Ärzte noch eine weitere finanzielle Unwägbarkeit. Denn wer zu viele Hausbesuche macht, von dem fordern die Krankenkassen Geld zurück. Von einer unabhängigen Prüfstelle wird ein Mittelwert ermittelt, der festlegt, wie oft ein Arzt im Durchschnitt Hausbesuche leistet. Liegt eine Arztpraxis weit über dem ermittelten Durch-schnitt, müssen Honorare zurückgezahlt werden. Dies betrifft zwar eher die klassischen Landärzte mit ihrer hohen Anzahl von Hausbesuchen, aber auch im städtischen Raum sind solche Rückzahlungsforderungen hinlänglich bekannt. Die Verlierer solcher Praktiken sind pflegebedürftige, demenziell erkrankte und multimorbide Menschen, die auf ihren Hausarzt daheim hoffen.

Hausbesuche dürfen jedoch nach den Bestimmungen des Fünften Sozialgesetzbuches an qualifizierte Mitarbeiter*innen delegiert werden. Denkbar sind Leistungen wie Blutdruck- und Pulsmessen, Verbandswechsel oder verschiedene Injektionen. „Der Arzt hat hierbei aber sicherzustellen, dass die Mitarbeiter*innen aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation oder allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse für die Erbringung der delegierten Leistung geeignet sind.“ Im Übrigen gilt die Hausbesuchsverpflichtung nicht nur für Hausärzte auch für Fachärzte, wenn aus ihrem Fachgebiet ein Besuch notwendig ist oder der Facharzt beratend zu einer Behandlung hinzugeholt werden muss.                               

VH                         

 

Foto: Commons

Hausarzt im Einsatz