Birkenblatt
Im Brennpunkt
Bezahlen wir bald ausnahmslos ohne Bargeld?
In Europa gibt es seit der Antike Bargeld. Die Verbreitung standardisierter Münzen begann jedoch ab etwa 650 v. Chr. in Städten Kleinasiens. Sie setzte sich in Griechenland und spätestens um 500 v. Chr. in Süditalien fort. In späteren Jahrhunderten erleichterten Münzen dann hauptsächlich den Handel. Von Vorteil daran war, dass sie in etwa gleiche Größe, gleiches Gewicht und gleiches Aussehen besaßen. Anstatt sie zu wiegen – so wie früher Gold- oder Silberbarren – konnten Kaufleute sie abzählen. Papiergeld hingegen wurde erst im 17. Jahrhundert eingeführt.. Eine gewaltige Silberknappheit hatte damals Schweden in Verlegenheit gebracht. Aus der Not machte das Land eine Tugend und brachte Banknoten als Zahlungsmittel in Umlauf. Andere Länder folgten dem Beispiel, in Deutschlandwurden die ersten Geldscheine aber erst 1705 in Köln herausgegeben.
Den Deutschen sagt man ja eine innige Liebe zu ihrem Bargeld nach. Als beispielsweise vor einigen Jahren der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Obergrenze für Bargeld zur Kriminalitätsbekämpfung (Geldwäsche) vorschlug, gab es hierzulande einen Aufschrei! Bargeld wurde mit Freiheit gleichgesetzt, und die muss am besten grenzenlos sein.
Eine Anfang 2021 veröffentlichte große Studie der Deutschen Bundesbank zeigt auf, dass nur 22,6 Prozent der Deutschen zwischen 50 und 69 Jahren sich ein Leben ohne Bargeld vorstellen können. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es mit 46 Prozent dagegen fast die Hälfte. Aus der Umfrage geht auch hervor, dass die Deutschen nach wie vor durchschnittlich mehr als 100 Euro in ihren Portemonnaies mit sich tragen. Doch damit nicht genug, sie bewahren auch kleinere oder größere Beträge zu Hause auf. Wie groß diese Beträge sind, wollte die Deutsche Bundesbank nun genauer wissen und formulierte eine entsprechende Frage in der erwähnten Studie, an der 2.000 Personen zwischen 18 und 84 Jahren teilnahmen. Das Ergebnis ist verblüffend: Die Gesamtsumme, die in Deutschland in Tresoren, Büchern, unter Kopfkissen oder im Küchenschrank als Bargeld vor sich hinschlummert, hat die Bundesbank auf 94 Milliarden Euro hochgerechnet. Und das dürfte sogar noch untertrieben sein, vermuten die Autoren der Umfrage.
Doch eines wird immer deutlicher erkennbar: Rein technisch gesehen bräuchten Verbraucher in Deutschland das Bargeld längst nicht mehr. Die Einkäufe im Supermarkt werden jetzt schon zur Hälfte mit EC-Karte oder Kreditkarte beglichen, der Milchcafé und das Croissant häufig per Smartphone oder neuerdings auch Smartwatch. Online-Bestellungen von Büchern oder Konzert- und Kinotickets laufen wie selbstverständlich über den Online-Bezahldienst PayPal. Doch warum machen wir von diesen bargeldlosen Möglichkeiten weniger Gebrauch als in vielen anderen europäischen Ländern? Warum werden Restaurantbesuche und auch Lebensmittel mehr als doppelt so oft bar bezahlt wie in Schweden, Norwegen, oder Großbritannien?
Die meisten Deutschen kennen selbstverständlich die mobilen Bezahlmethoden, doch fast jeder Dritte fürchtet um die Sicherheit seiner Daten. Tatsächlich könnten Anbieter theoretisch nachvollziehen, wo und was eingekauft wurde. Auch die Angst, dass mithilfe der Umsatzdaten Nutzungs- oder sogar Kundenprofile erstellt werden oder gar Daten an interessierte und kauf-willige Unternehmen weitergegeben werden, hält viele Menschen von der Nutzung digitaler Zahlungsvarianten ab. Offenbar steht nirgendwo die Datensicherheit so im Fokus der öffentlichen Debatte wie in Deutschland.
In Schweden sind Münzen und Scheine schon seit Jahren auf dem Rückzug. Selbst Kleinstbeträge am Kiosk, Spenden in der Kirche, Museumseintritt, Flohmarktbesuche, Busse, Bahnen oder Toiletten – überall wird mit Karte oder mit dem Handy bezahlt. Soweit scheint kein anderes Land weltweit. Bargeld wird erst gar nicht mehr angenommen und ist aus dem Alltag weitgehend verschwunden. Da erscheint der Schritt zur vollständigen Abschaffung fast zwangsläufig. Im Jahr 2023 soll es dann so weit sein. In Schweden, aber auch in den skandinavischen Nachbarländern Finnland und Dänemark ist das Vertrauen in den Staat jedoch um einiges größer als in Deutschland. Argwohn wegen möglicher Datenschutzvergehen ist dort eher selten anzutreffen.
Die Zahlungen der Bürger mit digitalem Geld sind im Gegensatz zu der mit Geldscheinen aus Papier für die Behörden leicht zu verfolgen. Die Polizei würde beispielsweise profitieren, die Privatsphäre der Bürger würde leiden. Autoritäre Herrschaftssysteme könnten mit der Digitalisierung des Bargelds ihren Überwachungsstaat stärken. Nicht umsonst liegt China bei der Entwicklung des digitalen Geldes ganz vorne. Zwar beruhigen die europäischen Notenbanken: Der programmierbare Euro sei kein Thema, die Abschaffung des klassischen Bargeldes auch nicht. Solange die Menschen Scheine und Münzen wollten, bleibe es im Sortiment. In Berlin haben jedoch erste Cafés und Bars bereits die bargeldlose Zahlung zur Pflicht erklärt. Folgen weitere?
Bei aller Skepsis oder Angst vor einer bargeldlosen Gesellschaft, die in zehn Jahren vielleicht auch in Deutschland Einzug halten wird, sei eines zum Trost gesagt: Wir haben uns in der Vergangenheit immer wieder an Neueinführungen oder einschneidende Änderungen gewöhnt, die wir lange Zeit mit Argwohn und Abneigung betrachtet haben. Wir haben den Sicherheitsgurt im Auto akzeptiert, das Rauchverbot in Restaurants und Cafés, die Einführung des Euros und vieles mehr. Vom möglichen Verlust des Bargelds wird die Welt nicht untergehen.
VH