Im Brennpunkt

Union Berlin – Fußballfans bauen Wohnboxen für Obdachlose

 

Weit über die Grenzen Berlins hinaus haben sich die Fans des Fußballvereins Union Berlin einen respektablen Ruf erworben. Ganz abgesehen davon, dass es sich bei ihnen um ein begeisterungsfähiges Publikum handelt, das imstande ist, das Stadion an der Alten Försterei in ein lautstarkes Tollhaus zu verwandeln, haben die Union-Fans auch abseits des Fußballgeschehens für positive Schlagzeilen gesorgt. So halfen über 2.000 der treuesten Anhänger in der Saison 2008/09 mit den eigenen Händen beim Stadionausbau, weil das Geld des Vereins sehr knapp war. Vor einigen Jahren kauften weit mehr als 5.000 Fans auch Stadion-Aktien. Seitdem halten sie knapp 50 Prozent an der Stadionbetriebs AG. Damit entscheiden letztendlich diese Fans auch über den Stadionnamen – und vermutlich werden sie es nie zulassen, dass ihr Stadion wechselnde Namen von Sponsoren trägt.

Bei Union wird zudem nicht nur Fußball gespielt, sondern auch gesungen. Seit 2003 füllen jährlich Fans das Stadion, um jeweils am 23. Dezember ab 19.00 Uhr gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. In den zurückliegenden Jahren war die Kultveranstaltung mit 28.500 Tickets in wenigen Stunden ausverkauft. Erst die Corona-Pandemie sorgte für eine Unterbrechung dieser liebgewonnen Tradition dieses außergewöhnlichen Vereins in Berlin-Köpenick.

In diesem Winter haben die engagierten Fans wieder einmal für Aufsehen gesorgt. Besonders bemerkenswert daran: Zielgruppe ihrer Aktion waren weder der eigene Verein noch der Fußball an sich. Vielmehr galt die Aufmerksamkeit einer häufig übersehenen Randgruppe unserer Gesellschaft: den Obdachlosen. Gerade im Winter trifft es Menschen ohne feste Bleibe erfahrungsgemäß sehr hart. Feuchte Kälte oder Schnee und Eis setzen ihnen dermaßen zu, dass die gesundheitlich ohnehin häufig angegriffenen Personen an ihre Grenzen kommen. Viele Obdachlosen-Unterkünfte sind im Winter komplett belegt, zudem gibt es etliche auf der Straße Lebenden, die solche Herbergen grundsätzlich meiden. Die Angst davor, ausgeraubt zu werden, spielt eine Rolle, anderen ist es zu laut und zu eng. Viele Betroffene fürchten Parasiten, Läuse und Krätze.  Und natürlich die Corona-Pandemie, aktuell ein weiterer Grund, Sammelunterkünften fern zu bleiben.

Im Jahr 2019 ergab eine offizielle Zählung des Berliner Senats knapp 2.000 obdachlose Menschen vom 29. auf den 30. Januar 2020. Die Hälfte davon befanden sich in Noteinrichtungen der Kältehilfe, die andere Hälfte auf der Straße.

Ein erprobter und akzeptierter Weg, Obdachlose an kalten Wintertagen von der Straße zu bekommen, ist das Aufstellen sogenannter Little Homes, auch Wohnboxen genannt. Bei diesen Miniaturhütten handelt es sich um mobile Boxen von 3 m² Größe, die über eine Matratze, ein Regal, ein Erste-Hilfe-Set und einen Feuerlöscher verfügen. Eine Campingtoilette sowie eine kleine Arbeitsfläche samt Kochmöglichkeit ergänzen das Innenleben. In einer solchen hölzernen Minihütte kann eine Person sicher und trocken übernachten. Für Obdachlose, die die Härten des Campierens unter einer Brücke oder in einer Parkbank gewohnt sind, bedeutet diese geschützte Art der Unterkunft eine gewaltige Verbesserung.

Etwa 60 Fans von Union Berlin hatten sich für den zweiten Adventssonntag verabredet, um gemeinsam zu sägen, zu schrauben, zu hämmern und zu pinseln. Dass die Außenbemalung in den Vereinsfarben rot-weiß vorgenommen wurde, ist ein klarer Hinweis auf die Handwerker: Hier waren die Fans von Union Berlin an der Arbeit.  Das erklärte Ziel war es, die Anzahl der insgesamt 69 in Berlin aufgestellten Little Homes zu erhöhen. Drei Stunden benötigten die Freiwilligen für die Erstellung einer Box, drei Boxen konnten sie dementsprechend am 5. Dezember zusammenbauen. Nach fast 10 Stunden gemeinsamer Arbeit waren die Little Homes fertig und warteten auf den Abtransport, da bereits am gleichen Abend der erste Bewohner einziehen sollte.

Organisatorisch war wie bei vielen Union-Hilfsprojekten die Stiftung „UNION VEREINT. Schulter an Schulter“ federführend. Mit dieser 2016 gegründeten Stiftung möchte der Verein der Fangemeinschaft in ihrer Vielfalt auch außerhalb von alltäglichen Vereinsabläufen Gehör schenken, ihr Stimme und Gesicht geben. „Die Menschen mit ihrem Potential verdienen unsere Aufmerksamkeit und Hinwendung. Dafür hat der 1. FC Union Berlin ganz bewusst die Stiftung ins Leben gerufen“, heißt auf der Webseite der Stiftung.

Deren Arbeit geht dabei bewusst über die Grenzen des Profifußballs hinaus und bündelt Ideen und Kräfte für ein umfassendes gesellschaftliches Engagement des 1. FC Union Berlin. Womöglich kann gerade hier die Stiftung eines Fußballvereins der Gesellschaft etwas zurückgeben, was im zunehmenden Egoismus der Individuen gar nicht mehr oder viel zu wenig abgebildet wird: aktive Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, engagiertes Eintreten für Selbstbestimmtheit und Demokratie. Ihr Ziel ist es, den Fußball für Menschen zu erschließen.

So ist es kein Wunder, dass viele der Hilfsprojekte direkt aus der Mitte der Union-Anhängerschaft heraus entstanden sind. Sie wurden von Fans, Spielern, Mitarbeitern, Nachbarn, Sponsoren und Freunden ins Leben gerufen. Bis März übrigens sollen sieben weitere Little Homes gebaut und Bedürftigen übergeben werden. Mit rot-weißer Außenbemalung – versteht sich!      

VH                                

 

 

Foto: Union Berlin

Union-Fans beim Zusammenbau einer Wohnbox