Im Brennpunkt

Die Fachtagung „Pflege in Not – Fachkräftemangel. Versorgungslücken. Perspektiven“

 

Viel hat sich getan rund um „Pflege in Not“, die Beratungsstelle bei Konflikt und Gewalt in der Pflege, seit wir das letzte Mal über die Einrichtung berichtet haben. Zum einen ist das Team um die Initiatorin, die Diplom-Sozialpädagogin Gabriele Tammen-Parr, personell verstärkt worden. Neben der langjährigen Mitarbeiterin Dorothee Unger, die als Diplom-Psychologin viele Beratungsgespräche leitet, arbeiten in der Bergmannstraße nun auch die Krankenschwester Cordula Prior, der Diplom-Sozialpädagoge Jürgen Winkel und seit März 2018 der Gerontologe Mathias Wirtz.

Außerdem wurde eine neue Anlaufstelle unter dem Dach von „Pflege in Not“ geschaffen, das Beratungs- und Informationsprojekt "echt unersetzlich...!?" Sie richtet sich an junge pflegende Angehörige zwischen 13 und 25 Jahren, die in die Pflege eines Menschen in der Familie stark eingebunden sind. Benjamin Salzmann, Anna Kliem und Jenny Ehmke leisten seit 2017 Unterstützung im Umgang mit den Belastungen, die aus der Pflegeverantwortung entstehen. Das kann das psychische Wohlbefinden betreffen, das Sozialleben oder die Bereiche Schule, Ausbildung und Universität.

Darüber hinaus hat sich „Pflege in Not“ die Veranstaltung von Fachtagungen zum Ziel gesetzt. Nach der gelungenen Premiere vor rund 10 Jahren fand am 20. Juni dieses Jahres in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche eine weitere Fachtagung unter dem Motto „Pflege in Not – Fachkräftemangel. Versorgungslücken. Perspektiven“ statt.

„Der Fachkräftemangel und seine enormen Folgen waren der Anlass, eine solche Tagung ins Leben zu rufen“, erklärt Mathias Wirtz. „Uns ging es dabei zunächst um eine Bestandsaufnahme in allen pflegerischen Bereichen, anschließend um Lösungsansätze.“ Aktuellen Angaben des Bundesgesundheitsministeriums zufolge fehlen hierzulande zurzeit etwa 36.000 Pflegekräfte. Brauchbare Ansätze zur Krisenbewältigung würden wegen fehlender Ressourcen rasch verpuffen. Die Folgen seien hinreichend bekannt, die Auswirkungen fatal: Gewalt und Konflikte werden dadurch angeheizt.

- Pflegebedürftige erhalten immer häufiger nicht die Pflegequalität, die sie benötigen.

- Entlastung und Beratung für Angehörige ist immer schwieriger zu erhalten.

- ambulante und stationäre Einrichtungen suchen vielerorts immer verzweifelter nach qualifiziertem Personal.

- Pflegerinnen und Pfleger sind zu häufig unter Termindruck, Unterbesetzung ist an der  Tagesordnung.

Unter diesen Rahmenbedingungen eröffnete Gabriele Tammen-Parr um 10 Uhr die Fachtagung von „Pflege in Not“. Für die verhinderte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat sprach Staatssekretärin Barbara König die Begrüßungsworte. Das Credo ihres kämpferischen Beitrags lautete: Es führt kein Weg daran vorbei, mehr Geld in das System Gesundheitswesen zu pumpen. Schaut man sich die exorbitanten Steuereinnahmen an, ist es wohl auch  möglich, dass die Pflege davon ein Gutteil erhält. Die Pflegdirektorin des Berliner Waldkrankenhauses Andrea Lemke folgte mit ihrem konstruktiven Beitrag „Gute Pflege trotz Fachkräftemangel“, ehe Lioba Zürn-Kasztantowicz vom Vorstand der Seniorenstiftung Prenzlauer Berg eindrucksvoll den Wettstreit und das Ringen um Fachkräfte in der Pflege beschrieb.

Nach einer Kaffeepause kam der Auftritt von Thomas Meißner vom Vorstand des Anbieter-Verbands qualitätsorientierter Gesundheitseinrichtungen (AVG). Meißner, der zunächst einmal betonte: „Der Pflegeberuf ist großartig“, wartete mit überraschenden Vorschlägen auf. Es solle doch bitteschön als Anreiz steuerliche Freibeträge für die direkte Arbeit am Menschen geben, „und zwar ausschließlich aus einem Grund: weil es ethisch wichtig ist.“ Anschließend referierte Marlen Podszun vom Pflegestützpunkt Marzahn-Hellersdorf über den Fachkräftemangel aus Sicht der Beratung. Die Berliner Pflegestützpunkte sind tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Jeder Berliner Bezirk verfüge inzwischen über drei dieser Beratungsstellen, in der Bevölkerung werden sie als solche gut wahrgenommen, das System funktioniert.

Ein Mittagessen und eine 20-minütige Satireeinlage später (der Kabarettist Arnulf Rating mit „gepflegte Satire“) wurden den etwa 130 Teilnehmer/innen aus Pflege und anderen gesundheitsrelevanten Berufsfeldern drei Erfolgskonzepte vorgestellt. Unter der Moderation von Frank Schumann von der Fachstelle für pflegende Angehörige sprach PR-Experte Andreas Wolff über professionelles Bewerbungsmanagement für den Pflegesektor. „Exceltabellen waren gestern“, lautete einer seiner Ratschläge. Mehr Aufmerksamkeit auf soziale Medien richten ein zweiter. Über die mitunter frustrierende, doch insgesamt lohnende Arbeit, geflüchtete Menschen zu Pflegekräften auszubilden berichtete Karl-Martin Seeberg, der Geschäftsführer Diakonie-Pflege Verbund Berlin. „Es funktioniert, aber mit sehr viel Aufwand“, stellte er fest. Das Hauptproblem seien die Hürden der Ausländerbehörde.

Last but not least erzählte Anja Lull vom Berliner Oberstufenzentrum Gesundheit von einem faszinierenden Projekt. Bildungsbenachteiligte Menschen – so etwa Migranten unter 25 Jahren oder Menschen mit gebrochenen Biographien – erhalten eine Pflegeausbildung. Das Fazit: Die Fähigkeit und der Wille zu lernen sind vorhanden. Etwa die Hälfte der Absolventen beginnt danach eine Ausbildung zur Fachkraft.

VH

Foto: Holger Biermann

Staatssekretärin Barbara König und Gabriele Tammen-Parr bei ihren Begrüßungsansprachen