Im Brennpunkt

Was ältere Menschen besser können als jüngere

 

Vor rund zwölf Jahren brachte der 2014 verstorbene  deutsche Schauspieler Joachim Fuchsberger ein heiter-ironisches Buch mit dem Titel „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ heraus. Tenor des Spätwerks war:  Es zwickt und kneift zwar an allen möglichen Stellen des Körpers, die Haut wird runzelig, das Haar schütter, der Gang schwerfälliger und die Augen sehen nicht mehr so gut. Aber das Altwerden lohnt sich trotzdem, denn es bietet viele ungeahnte Vorteile.

Ein Zitat aus seinem Vorwort: „Und was legitimiert mich, ein Buch über das Altwerden zu schreiben? Ganz einfach – ich bin alt. Ich möchte meinen Altersgenossen … die Angst davor nehmen, alt zu werden. Ich möchte ihnen Mut machen, sich dazu zu bekennen.“

Fast zur gleichen Zeit wie Fuchsberger seine Abhandlung verfasste, wurden Ergebnisse zur biografischen Forschung veröffentlicht. Die wissenschaftliche Psychologie befragte und untersuchte Menschen in der dritten Lebensphase, nach Kindheit und Jugend (erste Phase) sowie Familien- und Erwerbsphase (zweite Phase) die Zeit nach der Beendigung der Berufstätigkeit. Das Resultat verblüffte Fachleute und Laien gleichermaßen. Bis ins 75., teilweise sogar 80. Lebensjahr hinein sprachen die Untersuchten von der glücklichsten Zeit ihres Daseins. „Alter ist heute eine völlig verkannte Lebensphase“, stellte Prof. Dr. Rainer Richter fest, der damalige Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. „Ein älterer Mensch gewinnt neue Freiheiten, lebt bewusster und kennt sich besser als jüngere Menschen im Leben aus.“ Von einem „Wohlbefindungsparadox“, spricht die Psychologie. Denn junge und gesunde Menschen haben ein viel negativeres Bild vom Alter und fühlen sich trotzdem durchschnittlich unwohler als die deutlich Älteren.

Woran liegt das?

Die Antwort auf diese Frage ist mehrteilig. Ein wichtiger Aspekt ist das subjektive Glücksgefühl. Die persönliche empfundene Glückskurve eines Menschen geht nach der Jugend auf eine lange Talfahrt, die erst nach Ende der Midlife-Crisis gestoppt wird. Die Mehrzahl der Rentner beispielsweise empfindet wieder mehr Glück: Der Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz ist weg, der Kampf um Lebenspartner und sozialen Status spielt kaum noch eine Rolle. Dass die Älteren heute glücklicher und zufriedener sind, ist aber auch Ausdruck eines Bewusstseinswandels. Noch vor 30 Jahren fühlten sich die Menschen mit dem Renteneintritt eher nutzlos, ja abgeschoben. Ohne Arbeit schien ein Leben nicht sinnvoll. Heute dagegen sehen die meisten den Ruhestand als Chance zur späten Selbstverwirklichung.

Ein zweiter wesentlicher Faktor ist die Zeit. Vor allem in der Lebensmitte klagen viele, Beruf, Familie und Hobbys nur schlecht und mühsam unter einen Hut zu bringen. Als Rentner lässt es sich doch vergleichsweise entspannter leben. Aus dem Beruf ist man weitgehend ausgestiegen, die Kinder sind aus dem Haus und die Tage können besser und intensiver genossen werden. Hektik kommt viel seltener auf, und damit sinkt der Stresspegel gewaltig.

Ein drittes Argument für das stark gewachsene Wohlfühlempfinden der älteren Generation ist unter dem Stichwort Kompetenz auszumachen. Hierbei geht es nicht um allgemeine Intelligenz, denn die ist bekanntermaßen keine Frage des Alters. Es geht vielmehr um die von der Psychologie beschriebene „kristalline Intelligenz“, die alle Fähigkeiten und Informationen umfasst, die ein Mensch im Laufe des Lebens erwirbt. Die kristalline Intelligenz setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: zum einen aus dem gesammelten Faktenwissen, also den zeitlichen Daten, den Erinnerungen etc. Dazu kommen die erlernten Verhaltensweisen oder Fähigkeiten wie Fahrradfahren, Wortschatz, Vokabeln, Rechnen usw. Bei etlichen Menschen nimmt diese kristalline Intelligenz nie ab, auch nicht im hohen Alter. In diesem Zusammenhang ist noch festzuhalten: Ältere können sich und ihre Fähigkeiten besser einschätzen als Jüngere und ziehen daraus ein höheres Selbstvertrauen.

Der Alternsforscher Hans-Werner Wahl, der die Abteilung  für Psychologische Alternsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg leitet, kann das viel zu negative Bild des Alterns in der westlichen Gesellschaft bestätigen. „Im Durchschnitt sind die älteren Menschen in den Industrienationen in ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit so gut aufgestellt wie noch nie“, sagte er unlängst in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau. „Als ich vor Jahrzehnten mit der Alternsforschung anfing, galten Menschen von 75 plus als Hochaltrige. Heute wäre das lächerlich.“

Man müsse auf allen Ebenen – Politik, Unternehmen und Medien – zu einem differenzierten Bild des Alters gelangen, so Wahl. „Über Jahrhunderte hinweg wurde erzählt, dass Alter etwas Ungutes bedeutet. In allen westlichen Industrienationen gibt es diesen großen Widerspruch: Wir haben eine neue, lang lebende, aktive, relativ gesunde und wache Generation von älteren Menschen – und gleichzeitig werden sie sehr stark in die negative Ecke gedrängt.“

Die Psychologie hat inzwischen genauer herausgefunden, worin die größere Lebenserfahrung von älteren Menschen besteht. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist ihre Fähigkeit, alltägliche Konflikte mit Mitmenschen zu lösen. Sie nehmen häufiger als Jüngere Argumente ernst, interessieren sich für ihre Gegenüber und lassen die negativen Aspekte einer Situation eleganter abperlen. Sie nutzen seltener aggressive Gebaren oder bösartige Unterstellungen.

Das Handeln in den verschiedenen Lebensphasen der Menschen wird von drei Motiven bestimmt: dem Leistungsstreben, dem Streben nach Einfluss und Macht und dem Wunsch nach erfüllenden Beziehungen. Ältere Menschen müssen sich nicht mehr so beweisen wie jüngere, wie gut, erfolgreich und leistungsstark sie sind. Sie müssen deshalb nicht mehr so ehrgeizig konkurrieren und sind deshalb teamfähiger. Stattdessen gewinnen die zwischenmenschlichen Beziehungen stärker an Bedeutung.                             

VH                                

 

Ältere Menschen müssen sich nicht mehr beweisen