Im Brennpunkt

Warum leben Frauen länger als Männer?

 

Eigentlich haben wir es ja schon immer gewusst: Frauen leben im Durchschnitt länger als Männer. Sämtliche Statistiken, die Jahr für Jahr zu diesem Thema veröffentlicht werden, haben das stets bestätigt. Und wenn wir uns in unserer Nachbarschaft umgesehen haben, fiel uns auch immer auf, dass es viel mehr alleinstehende alte Frauen als Männer zu geben scheint.

Nun hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang des Jahres eine weitere Studie zu dieser Frage publiziert. „Wie geht es den sieben Milliarden Menschen auf der Welt?“, lautet die Überschrift der Untersuchung, und es lohnt sich sehr, über deren Ergebnisse und Schlussfolgerungen nachzudenken. Es ist nämlich keine der üblichen reinen Statistiken, die die WHO liefert, sondern vielmehr eine Antwort auf die Grundfrage, wie die unterschiedliche Lebenserwartung von Frauen und Männern zustande kommt. Schließlich starben bis tief ins 19. Jahrhundert hinein beide Geschlechter durchschnittlich noch etwa im gleichen Alter. Aber sie lebten bedeutend kürzer als die Menschen heutzutage.

Während die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa um 1820 bei unter 40 Jahren lag (bei vielen anderen Ländern und Kontinenten gibt es keine verlässlichen Statistiken), so liegt sie beim Durchschnitts-Menschen heute weltweit bei 72 Jahren. Frauen, die 1919 auf die Welt kommen, werden laut WHO durchschnittlich 74,2 Jahre alt – und damit nahezu fünf Jahre älter als zur gleichen Zeit geborene Männer, die auf 69,8 Jahre kommen.

Ungerecht, meinen die einen zur Statistik. Selbst daran schuld, entgegen andere, die glauben, sich dank ihres Hintergrundwissens eine solche Meinung erlauben zu können. Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte.

Denn die WHO-Analyse, die in 2019 zum ersten Mal altersspezifische Daten für Männer und Frauen separat ermittelte, liefert zur Begründung der früheren Männersterblichkeit zwei grundsätzliche Ursachenbereiche: genetische Disposition und gesellschaftliche Rollenverteilung der Geschlechter. Allerdings lassen sich Gründe für die frühere Männersterblichkeit nicht immer nur einem dieser beiden ursächlichen Bereiche zuordnen. Vielmehr sind sie häufig miteinander verwoben. 

So sorgen etwa mit dem – verstärkt in weiblichen Zellen auftretenden – X-Chromosom verbundene Prozesse dafür, dass Mädchen nach der Geburt ein stärkeres Immunsystem haben. Weibliche Kleinkinder überleben deshalb häufiger. Im Jahr 2017 war das Risiko von Jungen, vor dem fünften Geburtstag zu sterben, elf Prozent höher als das der Mädchen. Das ist umso bemerkenswerter als dass weltweit deutlich mehr Jungen als Mädchen geboren werden. Auf 100 Mädchen kommen 107 Jungen.

Doch die unterschiedliche Lebenserwartung wird auch vom Sozialleben in der Gesellschaft beeinflusst. Vier vor allem verhaltensbedingte Gründe führt die WHO in der Studie an.

1) Männer leben ungesünder als Frauen.

2) Männer gehen seltener zum Arzt als Frauen. 

3) Männer sterben häufiger an natürlichen Todesursachen wie Verkehrsunfällen oder Tötungsdelikten. 

4) Männer sterben an vielen Krankheiten häufiger als Frauen, so etwa an koronaren Herzerkrankungen, Lungenkrebs, COPD, Leberzirrhose und Schlaganfällen.  

 Interessant ist auch: je ärmer eine Region auf der Welt ist, desto geringer fallen die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen aus. Das liegt aber nicht – wie man denken könnte – an einem gesünderen Verhalten der Männer, sondern vielmehr an den Risiken der Schwangerschaften. Im überwiegenden Teil der Länder mit geringen Einkommen stirbt bis heute eine von 41 Frauen bei Schwangerschaft oder Geburt. Ausschlaggebend für diese erschreckende Statistik ist die extrem geringe Anzahl von Hebammen sowie die allgemein schlechtere medizinische Versorgung. In reicheren Staaten ist nur eine von 3.300 Frauen davon betroffen. 

Dass die Unterschiede hinsichtlich des durchschnittlichen Lebensalters zwischen der männlichen und der weiblichen Bevölkerung in wohlhabenden Regionen drastisch ansteigen, führt die WHO auf Umweltfaktoren und einen ungesunden Lebensstil zurück. In reichen Ländern wird weitaus mehr Alkohol konsumiert und mehr Zigaretten geraucht als in ärmeren. Es ist kennzeichnend, dass Männer fünfmal mehr rauchen als Frauen und viermal so viel Alkohol trinken. In Bezug auf die Einnahme ungesunder Ernährung hält sich das Geschlechterverhältnis in etwa die Waage – mit leichtem Überhang der Männer.

Die Einstellungen zur Gesundheitsversorgung sind ebenfalls unterschiedlich. Wo Männer und Frauen die gleiche Krankheit haben, suchen Männer oft weniger medizinische Versorgung als Frauen. In Ländern mit ständigen HIV-Epidemien beispielsweise lassen Männer seltener einen HIV-Test machen als Frauen, nehmen außerdem seltener an einer antiretroviralen Therapie teil und sterben häufiger an AIDS-Erkrankungen als Frauen. In ähnlicher Weise scheinen männliche Tuberkulose-Patienten weniger häufig Pflege zu suchen als weibliche. „Ein besserer Zugang für Männer zur Gesundheitsversorgung, etwa bei der Behandlung von Bluthochdruck, könnte die Überlebensraten erhöhen“, fasst der Generaldirektor der Weltgesundheitshilfe, Dr. Tedros Adhanom Ghebreesus, zusammen.

Und zuletzt: Männer arbeiten häufiger im Verkehrssektor und werden daher auch öfter Opfer von Verkehrsunfällen. Die Wahrscheinlichkeit bei einem Straßenverkehrsunfall zu sterben ist bei Männern ab dem 15. Lebensjahr weltweit doppelt so hoch wie bei Frauen. 

Hinzuzufügen ist noch, dass die Lebenserwartung allgemein nach wie vor stark vom Einkommen beeinflusst ist.  In Ländern mit niedrigem Einkommen ist die Lebenserwartung 18,1 Jahre niedriger als in Ländern mit hohem Einkommen. Ausnahmsweise zeigen diesbezüglich die Statistiken von Männern und Frauen die gleichen Werte auf. 

VH                                                                                   

 

 

 

 

Foto: Commons/Karen Beate Nösterud

Männer gehen seltener zum Arzt als Frauen