Im Kiez gekiebitzt

Die Schrippenkirche früher und heute

 

Wer in Berlin wohnt oder gar geboren ist, weiß selbstverständlich, was eine Schrippe ist.  Aber die Schrippenkirche? Die dürfte tatsächlich nur noch den älteren Berlinerinnen und Berlinern ein Begriff sein. Im Wedding stand sie einst, an der Ackerstraße an der Ecke zur Hussitenstraße. Das dortige Gebäude trug zwar im Volksmund den Namen Schrippenkirche, ein richtiges Gotteshaus war es aber nicht. Es erfüllte allerdings einen Zweck, der mit Sicherheit Gottes Segen gefunden hätte: Es bot armen und mittellosen Menschen eine Mahlzeit.

Ideengeber und Initiator hierzu war Berliner Journalist Constantin Liebich, ein Mitglied der Evangelischen Versöhnungsgemeinde in der Bernauer Straße. In den 1880er Jahren rief er angesichts der Massenverelendung in Berlin zur „aktiven, christlichen Liebestätigkeit” auf, die in erster Linie für Obdachlose gedacht war. Gemeinsam mit Gleichgesinnten begann er, Spenden zu sammeln. Liebich, ein konservativer gläubiger Christ, hatte vor allem arbeits- und obdachlose Männer im Blick, als er seine Idee von einem Frühstücksgottesdienst vorstellte: Wer aus diesem Kreis zu einer sonntäglichen Frühandacht des von Liebich 1882 gegründeten Vereins „Dienst an Arbeitslosen“ erschien, erhielt kostenlos eine Tasse Kaffee und zwei Schrippen.

Diese Andachten fanden in keiner Kirche statt, sondern in einem vom Verein angemieteten Saal. Zunächst traf man sich in der Oranienstraße in Kreuzberg, später in der Lindenstraße. Die Predigten wurden wechselweise von drei evangelischen Pfarrern gehalten. Das ungewöhnliche Angebot sprach sich innerhalb der armen Bevölkerung Berlins rasch rum. Kamen zum ersten Frühstücksgottesdienst noch 25 Gäste, waren es wenige Monate später schon über 100. Da die angemieteten Räumlichkeiten bald zu klein wurden und die häufig ärmlich gekleideten und streng riechenden Besucher nicht gerne gesehen wurden, beschloss der Verein, ein eigenes Haus zu bauen.

Zunächst wurde in der Müllerstraße 6, im ehemaligen Weddinger Tanzlokal „Fürst Blücher“ ein Saal für 300 Personen gekauft. Als auch dieser zu klein wurde, schenkte ein anonymer reicher Mäzen dem Verein das Grundstück Ackerstraße 52 mit dem darauf stehenden Haus und Stallgebäuden im Wert von 162.000 Mark. Nach einem großen Umbau fand der erste Gottesdienst des Vereins in der neu errichteten Schrippenkirche im Oktober 1902 statt.

Nach wechselhafter Nutzung wurde Anfang der 1980er Jahre das zwischenzeitlich besetzte Haus der alten Schrippenkirche abgerissen. Der Verein bekam ein neues Grundstück und ein neues Gebäude in der Ackerstraße 136. Zum 125-jährigen Jubiläum der Schrippenkirche wurde 2007 eine vom Bildhauer Michael Spengler in Stein gemeißelte, fünf Tonnen schwere  Skulptur in Form einer Schrippe vor dem Haus aufgestellt. Dort ist inzwischen ein „Wohnheim für Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen“ entstanden.                          

VH                      

 

Eine steinerne Schrippe ziert den Vorgarten der neuen Schrippenkirche