Interview mit Dr. Felix Klein

Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus

 


Herr Dr. Klein, was war für die Bundesregierung ausschlaggebend, einen Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland zu etablieren und wo ist Ihr Amt angesiedelt?

Das Amt ist im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat angesiedelt, ich bin aber von der gesamten Bundesregierung beauftragt worden. Das bedeutet, dass ich in meiner Tätigkeit ressortübergreifend arbeite. 

Der formelle Hauptgrund der Bundesregierung, dieses Amt zu etablieren, ist zunächst einmal der Beschluss des Deutschen Bundestages vom Januar dieses Jahres, durch welchen die Bundesregierung aufgefordert wurde, ein solches Amt zu schaffen. Ausschlaggebend hierfür war  ein parteienübergreifender Konsens, dass der Kampf gegen den Antisemitismus noch konzentrierter und systematischer als bisher  geführt werden muss. Bestehende Maßnahmen sollen besser gebündelt, Auf-klärung und öffentliche Debatten breiter gestreut werden. Nach den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuss steht fest, dass ich hierfür elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Unterstützung erhalten werde.

Sie sind ja mit der gesamten Thematik sehr vertraut, waren vier Jahre lang Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen im Auswärtigen Amt. Ist der Antisemitismus in Deutschland mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust wieder salonfähig geworden? Gibt es einen unterschwelligen Antisemitismus, der nicht in rechten Kreisen zu finden ist?

Den Antisemitismus hat es in Deutschland auch nach dem Holocaust immer gegeben. Er war aber gesellschaftlich verpönt. Viele Menschen haben sich nicht getraut, antisemitische Äußerungen zu tätigen und Aktionen durchzuführen. Jetzt äußert er sich unverhohlener. Internet und Soziale Medien haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es hier eine Enthemmung gegeben hat.

Dadurch – das muss man leider konstatieren – ist der Antisemitismus auch salonfähiger geworden. Nach seriösen Umfragen haben etwa 20 Prozent der Deutschen latente antisemitische Einstellungen. Auch holocaustrelativierende Meinungen treten stärker hervor. 

Neben der besorgniserregenden Zunahme von verbalen Attacken auf Juden von deutschen Bürgerinnen und Bürgern gibt es seit geraumer Zeit eine verbale Bedrängung und vereinzelt auch körperliche Angriffe von in Deutschland lebenden Moslems. Sind von Ihrer Seite Strategien geplant, dies zu unterbinden oder zu ahnden?

Ja, auch dazu habe ich strategische Überlegungen. Wir können den Kampf gegen den Antisemitismus unter Muslime nur mithilfe der moderaten Muslime gewinnen, die ja den weitaus größeren Anteil der Muslime in Deutschland stellen. Wir müssen die Verbände, die Moscheegemeinden und auch die landsmannschaftlichen Organisationen als Verbündete gewinnen und ihnen gleichzeitig klarmachen, dass das auch für sie der erfolgversprechendere Kampf ist. Denn sich gegen den Antisemitismus auszusprechen ist ein Zeichen der Integrationswilligkeit. Muslime, die sich gegen judenfeindliche Aktionen und Taten aussprechen, können ihrerseits weitaus besser Solidarität von der Gesamtgesellschaft einfordern.

Ganz klar muss aber auch gesagt werden: Wer sich antisemitisch betätigt und volksverhetzende Positionen von sich gibt, muss die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Hier darf es keine Toleranz geben. Straftäter müssen ermittelt und vor Gericht gestellt werden.

Was kann die Bundesregierung tun und was kann jeder Einzelne in Deutschland tun, um Antisemitismus einzudämmen und nicht weiter anwachsen zu lassen?

Die Bundesregierung kann zum einen die bestehenden Maßnahmen besser bündeln, die verschiedenen Akteure bundesweit noch besser vernetzen. Die Koordinierung der ressortübergreifenden Maßnahmen scheint mir doch sehr ein wichtiger Punkt. Wie im Bundestagsbeschluss vom Januar gefordert, werde ich  eine Kommission ins Leben rufen, um regelmäßig und systematisch mit den Bundesländern Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Gerade im Bildungs- und Erziehungsbereich, die ja beide Ländersache sind, ist das notwendig.

Einzelne können natürlich einschreiten, wenn sie Zeuge antisemitischer Aggression werden. Mir ist es auch wichtig, dass jedem Einzelnen die Bedeutung der Erinnerung an den Holocaust bewusst ist. Das historische Bewusstsein dafür muss erhalten bleiben, in welche Katastrophe es führen kann, wenn wir nicht gemeinsam gegen Antisemitismus vorgehen. Wenn wir nicht im Kleinen einschreiten, kann sich die Eskalationsspirale rasch nach oben drehen.

Wer sind Ihre wichtigsten Partner im Kampf für ein friedliches jüdisches Leben in Deutschland und gegen einen sich verbreitenden Antisemitismus?

Wichtige Partner sind einerseits die Bundeszentrale sowie die Landeszentralen für politische Bildung, die Kirchen, die politischen Parteien sowie die Medien. Selbstverständlich ist auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ein wichtiger Partner, wobei hier immer hinzugefügt werden soll, dass Bekämpfung des Antisemitismus keine exklusiv jüdische Aufgabe sein darf, sondern eine gesamtgesellschaftliche sein muss. Die gemäßigten muslimischen Verbände habe ich bereits erwähnt, die Sicherheitsbehörden darf man – leider – bei dieser Aufzählung nicht vergessen.

Das Interview führte Volker Hütte

Foto: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

Dr. Felix Klein, geboren am 25. Januar 1968 in Darmstadt, studierte von 1987-1992 Rechtswissenschaften in Freiburg und an der Berliner FU. 1994 – 1996 erfolgte die Ausbildung für den höheren Auswärtigen Dienst in Bonn, 2001 die Promotion an der Universität S. Gallen zum Dr. jur. Nach zahlreichen in- und ausländischen Erfahrungen im Auswärtigen Dienst wurde er 2014 Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, seit Mai 2018 ist er Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Dr. Klein ist verheiratet und hat drei Kinder.