Nachgefragt

Interview mit Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte

 

Herr von Dassel, in 2019 wird der historische Berliner Mauerfall sich zum 30. Mal jähren. Der Bezirk Mitte ist nur einer von zwei Berliner Bezirken, die aufgrund der Verwaltungsreform 2001 aus ehemaligen Ost- und Westbezirken bestehen. Sind Ost und West in Mitte gut und nachhaltig zusammengewachsen?

Das ist sicherlich eine Frage der Perspektive. Für alle, die nach 1990 geboren sind, spielt die Frage Ost oder West – zumindest in Berlin – keine Frage mehr. Für viele Menschen, die in der Zeit davor sozialisiert wurden, sind die „West- oder Ost-Erfahrungen“ aber nach wie vor prägend. Und in unserem Bezirk denke ich manchmal, dass die, die hier vor 1990 wohnten schon in der Minderheit sind – egal, ob sie im ehemaligen Osten oder im ehemaligen Westen lebten. Und das verbindet uns dann wieder über diese Grenze hinweg. 

Was ist neben der Museumsinsel als Besuchermagnet das Besondere und Interessante an Mitte, das den Bezirk so attraktiv für viele Gäste aus dem In- und Ausland macht?

Der Bezirk Mitte ist vieles zugleich: Kiez und Metropole, grüne Landschaft und grelle Großstadt, altes Berlin und neues Berlin, Hinterhof und Hochhaus. Ich denke, dass vor allem auch diese Mischung der Gegensätzlichkeiten einen besonderen Reiz darstellt, den in diesem Ausmaß kein anderer Bezirk aufzuweisen hat. Denken Sie nur mal an den Großen Tiergarten. Das ist die größte und wichtigste Grünfläche für alle Berlinerinnen und Berliner, er besitzt verbindenden Charakter für die gesamte Stadt – und das alles vollzieht sich in Mitte.  In wenigen Wochen feiern wir den 70. Jahrestag der Wiederaufforstung des im und nach dem Zweiten Weltkrieg völlig reduzierten Baumbestands im Großen Tiergarten. Am 17. März 1949 hatte der damalige Regierende Bürgermeister Ernst Reuter eine Linde gepflanzt. Sein Sohn Edzard Reuter, der ja in Berlin auch kein Unbekannter ist, wird an einer Gedenkveranstaltung aus diesem Anlass bei uns im Bezirk teilnehmen. Darüber freuen wir uns sehr, denn das ist eine kleine Geste mit großer Wirkung, die beispielhaft verdeutlicht, was das Besondere und Interessante an Mitte ist.  

Bürgernähe und Dienstleistung für Bürger/innen sind zentrale Aufgaben der Bezirksverwaltungen. Doch nicht nur in der Pflege, auch in Berliner Bezirksämtern fehlt Personal. Momentan sind allein im Bezirksamt Mitte mehr als 100 Vollzeitstellen nicht besetzt. Welche Ursachen hat der Mangel Ihren Erkenntnissen nach und wie können Sie gegensteuern?

Raten Sie mal, wie viele Beschäftigte innerhalb eines Jahres neu zum Bezirksamts Mitte gekommen sind: Über 300! Leider haben uns auch rund 200 Kolleginnen und Kollegen verlassen, altersbedingt oder weil der Senat und der Bund deutlich besser bezahlen können. Doch auch unsere Aufgaben und die Ansprüche unserer Bürgerinnen und Bürger wachsen ständig – von der Schulbauoffensive über neue Radwege bis zum Mieterschutz in Milieuschutzgebieten. Ein paar Probleme, insbesondere in unserem Standesamt nehmen wir mit ins neue Jahr. Doch ich bin zuversichtlich, dass sich die Verkettung von schweren Krankheitsfällen, Wegbewerbungen und zu wenig Planstellen nicht wiederholt. Denn auch der Senat hat dank einer umfassenden Analyse der Standesämter eingesehen, dass Mitte zu wenig Standesbeamte hat. Gut, dass wir jetzt neue Standesbeamte einstellen können und es gleichzeitig eine „schnelle Eingreiftruppe“ von Standesbeamten geben soll, die bezirksübergreifend bei Personalengpässen aushelfen können.  

Ein weiteres Problem ist die Verdrängung alteingesessener Mieter/innen. Ihr Bezirksamt hat darauf mit der Ausweitung von „Milieuschutzgebieten“ reagiert und der Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechts bei Hausverkäufen, um Bewohner vor Verdrängung zu schützen. Können Sie die Milieuschutz-Politik auch weiterhin konsequent betreiben?

Unbedingt! Aber das kann nur ein Anfang sein. Wir müssen den Immobilienirrsinn stoppen, z.B. indem ausländischen Fonds, vielleicht sogar Fonds überhaupt, der Immobilienerwerb in Berlin untersagt wird. Die Mietpreisbremse muss endlich so gestaltet werden, dass sie funktioniert. Und wir müssen es schaffen, dass Investoren mehr kostengünstigen Wohnraum bauen!    

Welche weiteren Arbeitsschwerpunkte haben Sie sich als Bezirksbürgermeister für den Rest dieser Legislaturperiode gesetzt?

Wir müssen dringend neue Konzepte für obdachlose Menschen finden und auch endlich den Status von Obdachlosen aus EU-Staaten klären. Zwar muss niemand in Berlin auf der Straße schlafen, aber oft werden die vorhandenen Hilfen, einschließlich der Kältehilfe nicht angenommen, zum Teil auch weil die Menschen zu krank sind, um selbst diese an sich niedrigschwelligen Angebote zu nutzen. Das merke ich selbst, wenn ich in der U-Bahn angesprochen werde und dann die Vermittlung in Hilfeangebote anbiete. Nur unter der Brücke die Menschen mit Tee und Schlafsack versorgen, kann doch keine dauerhafte Lösung sein.   

Darüber hinaus müssen wir in allen Bereichen mehr für den Klimaschutz tun: mehr Bäume pflanzen als fällen, den Baumbestand an extreme Wetterlagen anpassen, allen Beschäftigten Dienstfahrräder anbieten und den Energiebedarf der Dienstgebäude reduzieren. Zudem will unser Gesundheitsamt alle neugeborenen Kinder besuchen, damit wir Familien so früh wie möglich unterstützen können. 

Mein Ziel für 2019? Keine unserer Sprechstunden soll ausfallen und keine Bürgerin und kein Bürger soll unzumutbar lange auf einen Termin oder einen Bescheid warten.

Das Interview führte Volker Hütte

 

 

Foto: Markus Heine

Stephan von Dassel, geboren 1967 in Münster/Westfalen, begann nach dem Abitur ein Studium der Politischen Wissenschaft an der Freien Universität Berlin. Schon 1984 trat er der Partei “Die Grünen” bei, für die er ab 1999 zehn Jahre als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte tätig war. 2009 bis 2016 war von Dassel Sozialstadtrat im Bezirksamt Mitte, 2011 bis 2016 stellvertretender Bezirksbürgermeister und seit 2016 Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte.