Nachgefragt

Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Qualität in der Pflege

 

Herr Dr. Suhr, seit wann gibt es das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) und mit welcher Zielsetzung wurde es gegründet?

Das Zentrum für Qualität in der Pflege ist 2009 vom Verband der Privaten Krankenversicherung gegründet worden. Als gemeinnützige, operative Stiftung verfolgen wir das Ziel, zur Verbesserung der Pflegequalität in Deutschland beizutragen und uns für die gesundheitliche Versorgung älterer, pflegebedürftiger Menschen zu engagieren. Unsere Zielgruppen sind dabei primär Pflege- und andere Gesundheitsberufe, pflegende Angehörige, politische Akteure im Gesundheitswesen und Forschende. Das ZQP arbeitet wissenschaftsbasiert und praxisnah.

Wer entscheidet, welche Themen und welche Projekte angegangen werden müssen und wer berät Sie dahingehend?

In der ZQP-Geschäftsstelle initiiert und leitet ein interprofessionelles Team aus den Bereichen Pflege, Medizin, Gesundheits-, Geistes-, Sozial-, und Wirtschaftswissenschaften die ZQP-Projekte. Unsere Stiftungsgremien stehen uns bei der Projektkonzeption beratend zur Seite.

Können Sie uns einige Arbeitsschwerpunkte nennen, denen Sie sich während der letzten Zeit gewidmet haben?

Als Wissensinstitut für die Pflege richtet die Stiftung ihre Arbeit auf Forschung und Theorie-Praxis-Transfer aus. Dabei besteht ein besonderer Fokus auf das in Deutschland vorherrschende häuslich-ambulante Versorgungssetting. Die beiden übergeordneten Schwerpunkte sind Prävention im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit und Patientensicherheit für pflegebedürftige Menschen. In diesen beiden Arbeitsfeldern hat die Stiftung in den letzten zehn Jahren zahlreiche Projekte und Initiativen vorangebracht. Das gilt zum Beispiel für das Thema Gewaltprävention in der Pflege.

Gibt es vom ZQP Untersuchungen, welche konkreten Probleme und Belastungen während der andauernden Corona-Krise auf pflegende Menschen – egal ob Angehörige oder professionell Pflegende – aufgetreten sind?

Aktuell liegen uns Zahlen vor zu den speziellen Herausforderungen für pflegende Angehörige in der Corona-Krise. Wir haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Charité Universitätsmedizin Berlin ihre Situation untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine klare Tendenz. Rund ein Drittel der pflegenden Angehörigen erlebt eine Verschlechterung der Pflegesituation. Besonders schwierig ist die Situation für Angehörige von Menschen mit Demenz.

Die Auswirkungen der Krise auf das ambulante und stationäre Versorgungsgeschehen untersuchen unsere Wissenschaftler zurzeit. Gleichwohl haben wir über das ZQP-Angebot „Krisenerfahrung teilen“ viele Zuschriften von Pflegenden erhalten – auch aus der ambulanten und der stationären Pflege. Das sind zwar Einzelfallschilderungen, der erste Eindruck aber ist: In Deutschland sind die Folgen für die Pflegenden sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Deutlich wurde aber zum Beispiel, dass der Mangel an Schutzausrüstung und die Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen zu den dominierenden Themen für viele professionell Pflegende im stationären Bereich gehörten. Auch haben die ohnehin hohen psychischen und körperlichen Belastungen für das Pflegefachpersonal in einigen Einrichtungen noch einmal stark zugenommen. Im ambulanten Bereich berichteten Dienste in Regionen mit einem hohen Infektionsgeschehen von einer erheblichen Überlastung. Aber das ist, wie ich noch einmal versichern möchte, kein gesichertes „Big-Picture“.

Die Pflege steht seit etlichen Jahren verstärkt im Fokus der Öffentlichkeit. Darf man Ihrer Ansicht nach behaupten, dass die Pflege politisch und gesellschaftlich anders wahrgenommen wird als zum Ende des letzten Jahrhunderts?

Das kann ich nur unterstreichen. Heute wird das Thema in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik viel stärker wahrgenommen als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Denn Pflegebedürftigkeit ist in vielen Familien längst Alltag. Knapp 4 Millionen Pflegebedürftige gibt es aktuell und Millionen pflegende Angehörige, plus die Beschäftigten in der Pflege. Und wir wissen: Zukünftig werden noch deutlich mehr Bürger direkt oder indirekt von Pflege betroffen sein.

Klar ist darum, dass das Thema Pflege uns noch stärker beschäftigen wird – nicht weniger oder gleich stark. Denn die Wahrnehmung für das Thema ist zwar gestiegen und Leistungen der Sozialversicherung sind ausgeweitet worden, aber zum Beispiel der gravierende Personalmangel in der professionellen Pflege ist bisher nicht gelöst. Allein von der demografischen Dynamik getrieben, wird sich diese Lage vermutlich leider weiter verschärfen.

Das Interview führte Volker Hütte

 

 

Foto: Laurence Chaperon

Dr. Ralf Suhr ist Vorstandsvorsitzender der gemeinnützigen Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Fragen der Versorgungsqualität pflegebedürftiger Menschen; insbesondere forscht er zur Patientensicherheit und Gewaltprävention in der Pflege. Als Gastwissenschaftler unterrichtet er an der Charité Universitätsmedizin Berlin am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften. Vor seiner Tätigkeit im ZQP war Suhr als Arzt in der Klinik sowie als Experte für Gesundheits- und Pflegethemen in der Strategieberatung tätig. Seit Ende 2016 ist Dr. Ralf Suhr auch Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen.