Nachgefragt

Interview mit Anni Kuffer-Jahnke und Werner Jahnke, Pioniere der ambulanten Krankenpflege

 

Wenn Sie heutzutage eine junge Frau oder ein junger Mann fragen würde: „Welchen Beruf soll ich denn ergreifen?“, würden Sie bei entsprechender Qualifikation dann ohne zu zögern zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann raten?

Werner Jahnke: Ich würde ihr oder ihm zumindest nicht davon abraten, denn Krankenschwester oder -pfleger ist ein wunderbarer Beruf. Es ist ein schönes Gefühl, anderen Menschen zu helfen und sie beim Gesundungsprozess begleiten zu können. Darüber hinaus ist es ein krisensicherer Beruf.

Anni Kuffer-Jahnke: Das kann ich unterstützen. Wer gerne mit oder an Menschen arbeitet, ist in der Pflege sehr gut aufgehoben. Der Beruf bietet außerdem vielerlei Möglichkeiten für junge Menschen: Man ist ortsunabhängig, kann in jeder Stadt und inzwischen in vielen Ländern arbeiten. Dank der neuen generalistischen Pflegeausbildung wird der Abschluss europaweit anerkannt. So können junge Menschen unbürokratisch Arbeitserfahrungen im Ausland sammeln.

Sie sind mit Ihrer im Oktober 1981 gegründeten Pflegestation jetzt der älteste private Anbieter ambulanter Krankenpflege in Berlin. Wie war das damals, Vorreiter einer inzwischen ganzen Heerschar von ambulanten Diensten zu sein?

Werner Jahnke: Es war damals sehr schwierig, sich in diesem Bereich selbständig zu machen, denn die Krankenkassen sahen zu dieser Zeit gar keinen Bedarf. Es gab lediglich kirchliche Einrichtungen mit ihren Gemeindeschwestern in der Pflege tätig waren.

Aus Sicht der Krankenhäuser, die viele Patienten in die häusliche Pflege entlassen wollten, sah die Sache jedoch anders aus. Für die Kliniken gab es viel zu wenig Anbieter häuslicher Pflege, sodass viele Patienten unnötig lange Verweildauern auf den Stationen hatten. Nach langem Hin und Her gab es für mich als privatem Anbieter schließlich ein Angebot der  Kassen, demnach ich die Hälfte der Vergütung bekam, die die Krankenkassen den kirchlichen Einrichtungen zahlten. Die andere Hälfte sollte von den Patienten selbst privat hinzugezahlt werden.

Anni Kuffer-Jahnke: Parallel dazu begann der Senat von Berlin allerdings mit dem Aufbau der Sozialstationen …

Werner Jahnke: Richtig, etwa zur gleichen Zeit. Ich bin aber erst einmal zu den Krankenhaus-ärzten, zu den niedergelassenen Ärzten und zu den Gemeindepfarrern  gegangen und habe mir dort bescheinigen lassen, dass es wichtig wäre, auch als privater Anbieter eine Zulassung zu erhalten.

Haben Sie damals als im Pflegebereich völlig neuartiges privates Unternehmen Schwierigkeiten gehabt, Personal zu finden?

Werner Jahnke: Das war die nächste Besonderheit. Als die Kassen irgendwann gesprächsbereit wurden, haben sie von mir verlangt, Arbeitsverträge von mindestens zehn Krankenschwestern oder -pflegern zu präsentieren. Das war äußerst riskant für mich, denn es konnte mir natürlich niemand garantieren, dass ich genug Arbeit für alle bekommen würde. Aber irgendwie hat es geklappt, fragen Sie mich nicht wie (lacht). Insgesamt war sich mir aber schon relativ schnell sicher, dass ich mit meinem Pflegekonzept erfolgreich sein würde.

Wie sehr hat sich die ambulante Pflege im Laufe der letzten vier Jahrzehnte geändert?

Werner Jahnke: Ein gravierender Unterschied ist das Alter der Patienten. Früher lag das Durchschnittsalter unserer Patienten zwischen 70 und 75 Jahren, heute liegt es bei knapp 90 Jahren. Zu unserer Anfangszeit war ein hundertjähriger Geburtstag eine absolute Ausnahme, heute kommt das viel häufiger vor.

Anni Kuffer-Jahnke: Mir fällt zu der Frage noch etwas ganz anderes ein: die Inhaber ambulanter Pflegestationen waren während unserer ersten Jahre ausschließlich Krankenschwestern und -pfleger. Mit Einführung der Pflegeversicherung 1995 hat sich das langsam, aber stetig gewandelt. Heutzutage stammen die Inhaber aus allen möglichen Berufen. Alles hat sich in diesen Markt gestürzt, darunter viele branchenfremde Personen, auch einige dubiose Geschäftsleute.

Werner Jahnke: Außerdem betrug die durchschnittliche Pflegezeit bei einem Patienten zwei Stunden, selten einmal nur eine Stunde ..

Anni Kuffer-Jahnke: … und mit der Pflegeversicherung kamen dann die Leistungskomplexe, die so genannten Module. Wir hatten – um in diesem Zusammenhang zu bleiben – schon frühzeitig angefangen, unsere Pflege zu dokumentieren, als das noch lange nicht Pflicht war. Verbindlich ist die Pflegedokumentation ja erst durch die Pflegeversicherung geworden. Auch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und eine Überprüfung der Pflegeleistungen nach Schulnoten gab es zu unserer Anfangszeit noch nicht. Und wir hatten Schreibmaschinen – keine Computer.

Sie beide haben während all dieser Jahrzehnte intensiv für die Pflege gearbeitet, der kollegiale Austausch hat Ihnen dabei immer viel bedeutet. In welchen Verbänden und Gremien haben Sie mitgewirkt?

Werner Jahnke: Als nach unserer Krankenkassenzulassung zwei weitere ambulante Pflegedienste zugelassen wurden, haben wir drei eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, um uns regelmäßig fachlich auszutauschen. Als wir eines Tages zu siebt in Berlin waren, bin ich persönlich zu allen Mitbewerbern gegangen und habe erfolgreich dafür geworben, dass die  hinzugekommenen Pflegedienste der Arbeitsgemeinschaft beitraten. Anschließend ließen wir unsere AG auch als Verein eintragen, der sich offiziell „Arbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege Berlin e.V.“ nannte.

Als Verein konnten wir in geduldiger Überzeugungsarbeit durchsetzen, als anerkannter Gesprächs- und Verhandlungspartner für die Krankenkassen zu fungieren. Schließlich konnten wir erreichen, dass wir keine Einzelverhandlungen über die Vergütung mehr führen mussten. Ich wurde zum ersten Vorsitzenden des Vereins gewählt und führte harte, aber insgesamt faire Verhandlungen mit den Kassen. Von uns aus Berlin kam auch das Signal zur Gründung einer bundesweiten Arbeitsgemeinschaft als Berufsverband, nach dessen Etablierung sich dann rasch auch Landesverbände entwickelten. Leider gibt es mittlerweile mehrere bundesweite Berufsverbände für Pflegeberufe. Das bedaure ich, weil dadurch verschiedene Interessenlagen zum Vorschein kommen, die die Pflege allgemein schwächen.

Viele Jahre habe ich in den Gremien des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) mitgearbeitet, dem größten deutschen Krankenpflegeverband. Als dann diverse DBfK-Arbeitsgruppen aus organisatorischen Gründen um die Jahrhundertwende aufgelöst wurden, haben sich einzelne Mitglieder zu einem privaten Interessenverband zusammengeschlossen, dem Bundesforum Ambulante Krankenpflege. Im Kreise dieser Kolleginnen und Kollegen treffen wir uns seit vielen Jahren dreimal pro Jahr an wechselnden Orten der Republik zum intensiven Meinungs- und Informationsaustausch.

Welche Projekte sind Ihnen in all den Jahren besonders im Gedächtnis geblieben?

Werner Jahnke: Durch die Facharbeit im DBfK ist ein Qualitätssiegel für die ambulante Pflege entstanden, das seit 1999 RAL angegliedert ist: das Gütezeichen Qualitätsgeprüfter Ambulanter Pflegedienste. Keine andere ambulante Pflegestation bundesweit hat so oft die Verleihungsurkunde des Gütezeichens erhalten wie wir. Bis zum heutigen Tag sind wir elfmal ausgezeichnet worden.

Anni Kuffer-Jahnke: Mir fällt da sofort unser Patiententreffpunkt ein, den wir zu Beginn  noch Kommunikationszentrum genannt hatten. Seit 25 Jahren wird der inzwischen von älteren und alleinstehenden Patientinnen besucht und ist zu einem Markenzeichen unserer Station geworden. Und Mitte der 90er Jahre haben wir unseren ersten Patientenkalender vorgestellt. Die Arbeiten mit der Fotografin Esther Haase und unseren Patientinnen und Patienten, die in die Rolle von Fotomodellen geschlüpft sind, hat uns beiden immer große Freude bereitet. Beide Projekte, Patiententreffpunkt und Kalender, haben alte und alleinstehende Menschen aus ihrem Alltagstrott herausgeholt und sie in den Vordergrund gestellt.

Werner Jahnke: Mir ist auch noch unser Weihnachtsbacken 2017 in guter Erinnerung. Damals ließen wir Porzellantassen mit Motiven unserer Patientenkalender bedrucken und füllten sie mit selbstgebackenen Plätzchen. Insgesamt 4.000 Plätzchen haben wir an den Adventswochenenden gebacken. Alle Patienten unserer Pflegestation haben dann eine Tasse mit Plätzchen zu Weihnachten bekommen.

Abschließende Frage: Was werden Sie nach Ihrem endgültigen Abschied vermissen und worauf freuen Sie sich?

Anni Kuffer-Jahnke: Vermissen werde ich den Kontakt zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch die Beschäftigung mit den pflegerischen und den berufspolitischen Entwicklungen. Auch die Gespräche mit meinem Mann über die Pflegestation und die Diskussionen, wie wir gewisse Prozesse verbessern können, wird es nicht mehr geben. Andererseits kann ich mir in Zukunft die Zeit so einteilen, wie ich das gerne möchte, ohne Rücksicht auf die Station nehmen zu müssen.

Werner Jahnke: Der positive Stress wird mir fehlen, auch die Emotionen, die damit verbunden sind. Ich werde das Birkenblatt vermissen, vor allem das Redigieren der Artikel, egal ob zuhause, in Italien oder einmal sogar in der Wüste von Marokko (lacht). Natürlich werden mir auch viele Mitarbeiter fehlen, die ja zum Teil über Jahrzehnte den Weg mit uns gemeinsam gegangen sind. Aber ich freue mich auch darüber, künftig mehr Zeit zum Lesen zu haben. Ich glaube, dass mehr als hundert Bücher darauf warten, von uns gelesen zu werden. 

Das Interview führte Volker Hütte

 

 

 

Foto: Esther Haase

Das Ehepaar Jahnke