Nachgefragt

Interview mit Dr. Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH

 

Herr Dr. Bouteiller, der Berliner Flughafen Tegel ist seit November 2020 endgültig stillgelegt. Warum gab es aus Ihrer Sicht keine Alternative zu einer dauerhaften Schließung des in der Berliner Bevölkerung sehr beliebten Flughafens?

Die gab es nicht aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten. Dass der Flughafen Tegel mit Eröffnung des BER schließt, war eine politische Entscheidung, die bereits in den 1990er Jahren getroffen wurde. Für den Bund und die Länder Berlin und Brandenburg war diese Maßgabe grundlegende Bedingung für die Entwicklung des Flughafens Schönefeld zum Single-Airport. Die Gerichte haben dies auch in mehreren Instanzen geprüft und bestätigt.

Auch mir lag Tegel als Flughafen der kurzen Wege immer sehr am Herzen, weshalb der Abschied im November für mich ein durchaus emotionaler Moment war. Einerseits traurig, weil der liebgewonnene, kleine und in die Jahre gekommene Flughafen nun Geschichte war. Andererseits erwartungsfroh, weil nämlich nichts zu Ende ist, sondern die Geschichte weitergeht und hier etwas wirklich Tolles entsteht.

Das Gelände des Flughafens Tegel befindet sich zweifelsohne auf wertvollem innerstädtischem Boden. Wie groß ist dieses Gelände eigentlich und was soll dort entstehen?            

Das Projektgebiet ist ca. 500 ha, also umgerechnet ca. 700 Fußballfelder, groß. Auf gut der Hälfte entstehen zum einen die Urban Tech Republic, ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien, zum anderen ein neues Wohnviertel, das Schumacher Quartier.

Im Kern der Urban Tech Republic, nämlich im ehemaligen Hauptterminal, wird eine Hoch-schule zuhause sein und drum herum schaffen wir Platz für bis zu 1.000 Startups und Unter- nehmen, die sich mit innovativen Technologien für unsere Städte beschäftigen. Sie erforschen, erproben und produzieren zum Beispiel Lösungen für den effizienten Einsatz von Energie oder für umweltschonende Mobilität, Recycling oder die vernetzte Steuerung von Systemen bis hin zu sauberem Wasser und dem Einsatz neuer Materialien.

Im direkt angrenzenden Schumacher Quartier entstehen über 5.000 Wohnungen für mehr als 10.000 Menschen. Hier verfolgen wir ein sehr nachhaltiges, ökologisches Konzept mit viel Raum für Begegnung, Freizeitaktivitäten und Sport im Freien. Naturerleben und gesundes Wohnen spielen eine große Rolle. Nach Möglichkeit sollen hier viele der Ideen, die in der Urban Tech Republic entwickelt werden, auch ihre Anwendung finden. Bauherren werden die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Baugruppen und Anbieter von Sonderwohnformen, etwa für Betreutes oder Studentisches Wohnen sein, so dass das Quartier sozial durchmischt und bezahlbar sein wird.

Und ja, der Boden ist zweifelsohne wertvoll und sehr besonders. Deshalb bleibt das Land Berlin auch Eigentümer; die Grundstücke werden ausschließlich in Erbpacht vergeben.

Wer hat rechtlich die Weichen gestellt für dieses riesige Zukunftsprojekt und welche Aufgaben hat hierbei die Tegel Projekt GmbH?

Die ersten Weichen hat 2008 die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer gestellt, indem sie frühzeitig einen großangelegten Partizipationsprozess zur Nachnutzung des Flughafengeländes startete. Die wesentliche Entscheidung fiel dann seitens des Senates 2011, als beschlossen wurde, das Ge-lände Zukunftstechnologien zu widmen und die Tegel Projekt GmbH als Geschäftsbesorgerin zu gründen. Unser Auftrag ist es, den politisch formulierten und 2013 im Masterplan festgehaltenen Auftrag zur Nachnutzung des Areals umzusetzen: das Gelände zu entwickeln und wohl überlegt mit Leben zu füllen.

Haben Sie für all diese Vorhaben eine Planungssicherheit?

Das Projekt ist auf Jahrzehnte angelegt und bei aller Planung ist es natürlich auch von vielen äußeren Faktoren abhängig, die wir nicht beeinflussen können, seien es Konjunkturlagen, politische Entscheidungen oder die Situation des öffentlichen Haushalts. Insofern haben wir zwar das Große und Ganze im Blick und sind sehr weit mit unseren Planungen, fahren aber immer auf Sicht, um flexibel agieren zu können, falls es erforderlich wird. Wir freuen uns, dass unser Projekt bisher nie in Frage gestellt wurde und wir breite Rückendeckung erfahren.

Versuchen Sie doch mal einen Blick in die Zukunft zu werfen: In zehn Jahren schlendern Sie einmal quer über das einstige Gelände des Flughafens Tegel. Was sehen Sie links und rechts und welche Gefühle haben Sie dabei?

Ein stolzes Gefühl werde ich haben, denn in zehn Jahren sind die Gebäude des ehemaligen Flughafens denkmalgerecht saniert. Auf dem Campusplatz vor Terminal A tummeln sich Studierende. Unternehmen haben ihren Platz gefunden und tüfteln an Lösungen für die Stadt von morgen. Der Landschaftsraum nördlich der einstigen Start- und Landebahnen ist von den Berlinerinnen und Berlinern erobert und lädt zum Spazieren, Sport treiben und Durchatmen ein. Und auch im Schumacher Quartier stehen nun nachhaltig erbaute Wohnhäuser mit grünen Fassaden und Dächern, die Sonnenenergie ernten, mit Cafés, kleinen Läden, Restaurants und Ateliers in den Erdgeschossen. Die Kleinen spielen im Freien auf den vielen Spielplätzen, ganz ohne Angst vor Straßenverkehr, denn Autos gibt’s hier nicht. Der neue Bildungscampus ist eröffnet und bietet von der Kita bis zur Oberschule modernste Bedingungen. Nachbarn treffen sich zum Kaffeeplausch im zentralen Park oder gärtnern nach Lust und Laune auf den vielen Pflanzstreifen im Quartier. Lebendig, bunt, kinderfreundlich und altersgerecht wird es hier sein. Ich freue mich darauf.

VH

Foto: Tegel Projekt GmbH-Christian Kielmann

Dr. Philipp Bouteiller, Jahrgang 1968, studierte an der Berliner Hochschule der Künste und an der London School of Economics an Political Sciences und promovierte über „Management im Zeitalter der Globalisierung“. Nach einem Engagement bei der Beratungsunternehmen McKinsey übernahm der Wahlberliner 2012 die Geschäftsführung der Tegel Projekt GmbH mit derzeit rund 50 Mitarbeiter/innen.