Nachgefragt

Interview mit Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats e.V.

 

Frau Vogler, was sind die zentralen Aufgaben des Deutschen Pflegerats und wer sind seine Mitglieder?

Der Deutsche Pflegerat ist der Dachverband der bedeutendsten Pflegeverbände in Deutschland. In den unterschiedlichen Pflegeverbänden organisieren sich Pflegefachfrauen und -männer ehrenamtlich und repräsentieren die vielen unterschiedlichen Fachgebiete der Pflege – von der ambulanten Versorgung über die Krankenhäuser, von den leitenden Pflegepersonen bis hin zu der Psychiatrie. Der Deutsche Pflegerat bildet ein Dach für alle und setzt sich auf der Bundesebene ein für die Vertretung aller professionell Pflegenden – zum Wohle der Versorgung Pflegebedürftiger.

Welche konkreten Maßnahmen für den gesamten Pflegesektor in Deutschland erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung, die als Koalition ja eine völlig andere Parteien-Zusammenstellung präsentiert?

Als wir den Koalitionsvertrag in die Hand bekamen waren wir überrascht. Wir fanden viele Dinge, für die wir bereits seit Jahren ringen – zum Beispiel Mitarbeit im G-BA (gemeinsamer Bundesausschuss; Die Redaktion), bundeseinheitliche Assistenzausbildung, Prüfung der Finanzierung des Gesundheitswesens und ggf. Neuausrichtung, Rehabilitationseinrichtungen als Ausbildungsbereiche, Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten, Sektorengrenzen überwinden, Pflegegeld dynamisieren und noch sehr viel mehr. Und vor allem – das erste Mal – finanzielle Unterstützung auf der Bundesebene für eine eigene berufsständische Vertretung. Der Deutsche Pflegerat ist hier ausdrücklich benannt.

Nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages und der Einsetzung der Minister*innen, haben wir zum Bundesministerium für Gesundheit sofort Kontakt aufgenommen. Leider sind uns bereits vereinbarte Termine wieder abgesagt worden. Wir müssen jetzt die Punkte präzisieren, uns einbringen und Arbeitsstrukturen verabreden. Wir drängeln, da die Pflege schon lange keine Zeit mehr hat. Wir können nicht mehr warten. Es müssen viele Entscheidungen getroffen werden, Umsetzungsverfahren verabredet werden – und wir wollen hier natürlich mit eingebunden werden.

Neben dem häufig formulierten und bereits eingetretenen Pflegenotstand ist die Digitalisierung in der Pflege eine weitere wichtige Angelegenheit. Wie positioniert sich der Deutsche Pflegerat zu diesem für die Zukunft der gesamte Profession bedeutenden Thema?

Wir unterstützen eine vernünftige Digitalisierungsstrategie. Sie wird der pflegerischen Versorgung Unterstützung geben. Wir haben gemeinsam mit anderen Akteuren ein Strategiepapier herausgebracht – die wichtigsten Punkte sind die Bildung eines nationalen Strategieplanes, Schaffung und Finanzierung der nötigen Infrastrukturen, neue Berufsbilder entwickeln und vor allem auch Interoperabilität sichern – also die verschiedenen digitalen Lösungen müssen miteinander vernetzt werden bzw. kommunizieren können – und das bei entsprechender Datensicherheit.

Warum ist die Geschichte der Pflegekammern in Deutschland bislang noch keine Erfolgsstory geworden? Warum können sich diese von vielen Fachleuten begrüßten Einrichtungen in den Bundesländern nicht durchsetzen?

Das Gesundheitswesen folgt dem Prinzip der Selbstverwaltung. Einflussreiche Interessengruppen haben sich eingerichtet und dominieren Entscheidungsprozesse. Damit pflegerische Expertise und Einflussnahme in diesem System angemessen stattfinden kann, braucht es Gesetze, die staatliche Aufgaben für eine Selbstverwaltungsstruktur der Pflege definieren. Das wird seit Jahrzehnten der Pflege in Deutschland vom Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene verweigert. Es geht nicht darum, ob Pflegende mitsprechen wollen – es geht darum, dass Pflegende mitsprechen müssen, um Gesundheitsversorgung von Morgen zu sichern. Dazu braucht es entsprechende Gesetze in den Ländern und auf der Bundesebene. Im Rahmen der Kammer- und Heilberufegesetze haben wir hier gute Blaupausen.

Der Deutsche Pflegetag 2021, der im Oktober in Berlin stattfand, ist schon wieder Geschichte. Welche Eindrücke, aber auch Stimmungen haben Sie vom Pflege-Fachkongress mitgenommen?

Jedes Jahr kommen mehrere tausend Teilnehmer*innen aus der Profession, Politik, Wirtschaft und Verbänden zusammen und diskutieren über die Weiterentwicklung des Berufsbildes Pflege und dessen Rolle in der Gesellschaft. Der Deutsche Pflegetag ist DIE politische Bühne für die Pflege in Deutschland. Und das hat sich auch diesmal wieder gezeigt. Das politische und mediale Interesse für die Pflege ist unglaublich groß gewesen. Viele Statements konnten wir platzieren. Und wir freuen uns auf den nächsten Pflegetag 2022 am 06./07. Oktober.  Denn es gibt noch viele zu tun. Ich selbst nehme immer sehr viel Energie für die ehrenamtliche Arbeit für die Pflege mit! Da merkt man immer, dass es sich lohnt, sich zu engagieren.

Das Interview führte Volker Hütte

 

Foto: Rainer Freese

Christine Vogler, Jahrgang 1969, ist Präsidentin des Deutschen Pflegerats und seit 30 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Gelernt hat sie Krankenschwester, Diplom-Pflegepädagogin, Schulmanagement und Qualitätsauditorin. Sie ist die Geschäftsführerin der Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe gGmbH, der größten Bildungseinrichtung für Gesundheitsberufe in Deutschland und die gemeinsame Ausbildungsstätte der Charité und Vivantes. Als aktives Mitglied arbeitet sie u. a. im Bundesverband der Lehrenden für Gesundheits- und Sozialberufe e.V. und dem deutschen Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK) mit. 2018 bekam Sie für ihr Engagement für eine anspruchsvolle und attraktive Pflegeausbildung den Berliner Frauenpreis. Im Januar 2022 wurde Sie zur Pflegemanagerin des Jahres ausgezeichnet.