Nachgefragt

Interview mit Georg Strecker, Geschäftsführer des Varietés Wintergarten

 

Herr Strecker, können Sie all den Menschen, die noch nie eine Ihrer Varietéshows gesehen haben, in wenigen Sätzen darlegen, warum der Besuch des Wintergarten ein unvergessliches Erlebnis ist?

Das Erlebnis setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Wir legen Wert auf einen warmherzigen Empfang unserer Gäste, und der beginnt schon beim Betreten des Hauses: der rote Teppich vor der Tür, der Doorman, der die Tür öffnet und alle persönlich begrüßt – und nach dem Eintritt ins kleine, aber feine Foyer hat man die Wahl zwischen einem Besuch der Bar, des Cafés oder dem direkten Zugang zum Theatersaal.

Dieser Saal ist sehr besonders. Er hat keine klassische Theaterbestuhlung, sondern Tische, an denen man vor und auch während der Show Getränke und Speisen zu sich nehmen kann. Im Saal befinden sich an den Wänden hohe gläserne Vitrinen, in denen alte Varieté- und Zirkusrequisiten ausgestellt sind, auch das trägt zum einzigartigen Flair des Raumes bei. Im ersten Rang befinden sich seit neuem einige Logen á vier Personen mit hervorragendem Blick auf die Bühne.

Das alles sind aber nur die Rahmenbedingungen, denn wer den Wintergarten besucht, kommt ja hauptsächlich wegen der Show. Und an dieser Stelle kann ich sagen, dass das Erlebnis alleine deswegen unvergesslich sein wird, weil wir tatsächlich die weltbesten Artisten aus der ganzen Welt verpflichten. Und für die Künstler ist es umgekehrt wichtig, im Wintergarten aufgetreten zu sein. Zu unserem Selbstverständnis zählt auch, dass wir ab und zu neue Formate ausprobieren, die das Varieté allgemein bereichern, wie die aktuelle Breakdance-Show. Unsere Live-Band ist zudem außergewöhnlich gut und sehr variabel.

Der alte Wintergarten an der Friedrichstraße wurde 1944 durch einen Bombenangriff zerstört, der neue Wintergarten eröffnete vor 30 Jahren an der Potsdamer Straße. Wenn Sie sich die damaligen und Ihre heutigen Programmideen anschauen, sehen Sie da eher Ähnlichkeiten und Kontinuität oder gänzlich andere Ansätze?

Natürlich gibt es einige markante Unterschiede zwischen beiden Häusern, in den alten Wintergarten passten rund 3.000 Zuschauer, in den heutigen etwa 420. Das liegt aber auch daran, dass die heutigen Zuschauer eine etwas intimere Atmosphäre bevorzugen.

Beide Häuser haben aber immer darauf geachtet, sich weiterzuentwickeln. Nach den Kulissen-und Ausstattungsorgien der Anfangsjahre im Ur-Wintergarten – halb Theater, halb Singspiel – folgten Shows mit den bedeutendsten Trapezartisten und ihren legendären Flugeinlagen. Otto Reuter spielte dort seine Berliner Lieder mit viel Witz und Biss, Claire Waldoff sang und die berühmtesten Clowns der damaligen Varietés Charlie Rivel und Grock traten auf. Es gab leider auch die unrühmliche Entwicklung im Nationalsozialismus, dass farbige und jüdische Künster*innen nicht mehr auftreten durften, ehe dann das Haus 1944 ausgebombt wurde.

Ich glaube, die wichtigsten Gemeinsamkeiten beider Häuser sind jedoch die Auftritte der weltgrößten Artisten sowie die Bereitschaft zur permanenten Weiterentwicklung der künstlerischen Konzepte.

Wer den Wintergarten während der letzten Jahre besucht hat, gerät beim Stichwort „Unterwelten“ regelrecht ins Schwärmen. Welches Konzept verbirgt sich dahinter und was konkret erwartet Ihre Besucher beim Betreten des Untergeschosses?

Aufgrund der begrenzten Situation im eher kleinen Foyer, auch im Bereich Toiletten und Garderobe, haben wir uns Gedanken über einen Umbau gemacht, um das mitunter hektische Gewusel im Foyer zu beenden. Eine Art „Gegenwelt“ im Keller war unser Plan, der inzwischen auch umgesetzt wurde. Warum sollte denn der Gang zur Toilette nicht auch ein Erlebnis sein?

Im Bereich der Männer-WC ist ein kobaltblauer Wald installiert mit hängenden Monstera-Blättern, abends wird zudem Vogelgezwitscher eingespielt. Auf den Kabinen sind Schattenrisse von Artistinnen, Wände und Böden bestehen aus kleinen blauen Mosaiksteinen, schwere Bronze-Waschbecken in Tropfenform vervollkommnen das zauberhafte Ambiente. Die Stützsäule der Unterwelten geht im oberen Teil über in konzentrische Kreise, aus denen indirektes Licht erscheint. 

Bei den Damen-Waschbecken geschieht beim Händewaschen etwas sehr Poesievolles: hinter einer Glasscheibe tanzen vor dem Spiegel weiße Federn empor. Ein besonderer Anziehungspunkt des Damenbereichs ist der Schminkbaum mit einem Säulenstamm in der Mitte, der umringt wird von acht Samthockern vor Kosmetikspiegeln. Wer hier den Lidstrich nachziehen möchte, hat dafür auch in unseren Unterwelten eine magische Gelegenheit. In der Lounge der Unterwelten steht seit einiger Zeit auch ein weißer Flügel, auf dem ein Pianist vor und nach der Show aufspielt.

Können Sie unseren Leser*innen schon mal einen Ausblick auf die Wintergarten-Höhepunkte des weiteren Jahres geben?

Die Corona-Pandemie erreichte uns alle genau zum Beginn der 2020er Jahre. Der Wintergarten hatte für diese Zeit zwei Shows kreiert, die die 1920 Jahre zum Thema hatten. Keine eindimensionalen Rückblicke, sondern der Versuch, eine Brücke zwischen damals und heute zu schlagen. Unsere Shows „20 20“ und „Golden Years“ waren große Erfolge, mussten aber jeweils nach vier Wochen pandemiebedingt abgesetzt werden. Ab Juli bieten die „Golden Years“ jedoch wieder einen schillernden Abend im Gestern und Heute.

Das Interview führte Volker Hütte

 

 

Foto: Ben Duentsch

Georg Strecker, geboren 1957 in Bad Homburg, begann 1983 seine berufliche Karriere bei der Konzertagentur Lippmann & Rau. 1990 ging er als Produktionsleiter zum Chinesischen Nationalcirkus von André Heller, seit 1995 war er als Berater für das Management von Großveranstaltungen für pool Holding tätig. Seit dem 1. September 1998 verantwortet er die Geschicke des Wintergartens als Geschäftsführer. Nach mehr als 23 Jahren im Wintergarten ist er sicher einer der „dienstältesten“ Geschäftsführer in den Theatern Berlins.