Nachgefragt

Interview mit Claudia Moll, Bevollmächtigte der Bundesregierung für die Pflege

 

Frau Moll, seit mehr als acht Jahren gibt es bereits das Amt einer Bevollmächtigten der Bundesregierung für die Pflege. Warum war aus Ihrer Sicht die Schaffung einer solchen offiziellen Stelle richtig?

Es gibt vor allem zwei Gründe, die die Schaffung des Amtes geradezu zwingend machten. Punkt eins: Pflege betrifft alle Bereiche von Gesellschaft und Politik. Da ist natürlich die Pflegeversicherung und in ganz vielen Bereichen das Thema Gesundheit. Es geht aber auch um die kommunale Infrastruktur. Um Betreuungsrecht, Rechte am Lebensende. Um Arbeit, wenn wir über Themen wie Teilzeit, Pflegezeit oder aktuell Homeoffice bei pflegenden Angehörigen sprechen, oder über Ausbildungsfragen, Arbeitsbedingungen und Lohn bei professionellen Pflegekräften. Pflege ist damit ein Querschnittsthema und es ist wichtig, das an einer Stelle zu bündeln.

Punkt zwei: Pflegebedürftige und pflegende Angehörige haben ganz oft nicht die Zeit, das Geld und vor allem die Kraft, für ihre Rechte und ihre Belange zu kämpfen. Sie sind – von Ausnahmen natürlich abgesehen – keine Gruppe, die sich lautstark im Politikbetrieb zu Wort meldet. Mit dem Amt der Pflegebevollmächtigten wurde eine Stelle geschaffen, die für sie die Stimme erhebt. Das ist gerade in den aktuellen Zeiten wichtig.

Ihr Vorgänger Andreas Westerfellhaus kam als ehemaliger Präsident des Deutschen Pflegerats aus der politischen Verbandsebene. Sie arbeiteten bis zu Ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag 2017 als Altenpflegerin. Was glauben Sie, was Ihre früheren Kolleg:innen nun am dringendsten von Ihnen erwarten?

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Politik hat in dem Punkt schon unglaublich viel getan. Vor Ort, in der Praxis kommt aber immer noch zu wenig davon an. Der wichtigste Punkt wären mehr Kolleginnen und Kollegen. Aktuell sind viele Bereiche auch schon wieder durch einen hohen Krankenstand stark belastet. Das ist mir klar. Mein Ziel ist, schnell mit der Personalbemessung voran zu kommen. Und auch wenn das nicht überall populär ist: wir wissen, dass es großen Bedarf gerade an Pflegehilfskräften gibt. Da müssen die Länder mehr Möglichkeiten für die Ausbildung schaffen und vor allem auch endlich die Fachkraftquoten anfassen. Dann könnten wir zumindest an der Stelle einen großen Schritt machen.

Die sich anbahnende Energiekrise samt drastisch steigender Preise für Gas und Öl trifft mit voller Wucht auch den ambulanten Pflegesektor. Wie kann die Gesellschaft die ärgsten Folgeerscheinungen für Patient:innen, aber auch für die Pflegenden und die ambulanten Stationen vermeiden?

Das ist in der Tat ein großes Problem. Die Ausweitung des Wohngeldes und die Heizkostenzuschüsse sind ein wichtiger Schritt. Jetzt müssen wir sehen, wie wir weiter voran kommen. Klar ist ja auch: als Pflegebedürftiger kann man oft nicht einfach die Heizung herunterdrehen oder kürzer oder kälter duschen. Viele der Haushalte, in denen gepflegt wird, haben vorher schon gespart, wo sie konnten. Ich setze mich sehr dafür ein, dass das bei den künftigen Regelungen berücksichtigt wird.

Sie setzen sich nachdrücklich für einen verbindlichen Anspruch auf  Homeoffice für pflegende Angehörige ein. Was konkret ist der Hintergrund für Ihr diesbezügliches Engagement?

Die meisten wollen zuhause gepflegt werden. Und viele Angehörige wollen das auch gerne möglich machen. Homeoffice kann dann ein gutes Instrument sein, um Pflege und Beruf vereinbaren zu können. Gleichzeitig haben wir in der Pandemie gesehen, dass an vielen Stellen die Arbeit genauso gut im Homeoffice gemacht wird. Natürlich wird das keine Lösung sein, die für alle passt, aber vielen kann es die Pflege leichter machen. Warum also sollte man den Menschen diese Möglichkeit nicht geben?

Immer wieder kommen aus der Politik und aus anderen gesellschaftlichen Ebenen Forderungen nach einer sozialen Pflichtzeit für junge Menschen in Deutschland. Könnte diese soziale Zeit – unabhängig davon, ob sie ein Jahr oder weniger betragen würde – eine nachhaltige Entlastung auch für die Pflegenden bedeuten?

Da muss man differenzieren. Ich habe mich immer wieder für eine offene Diskussion darüber stark gemacht. Ich finde es wichtig, dass Menschen Erfahrungen im sozialen Bereich machen. Das gibt einen anderen Blick auf die Dinge und sicher kann es für den einen oder anderen auch den Weg in die Pflege eröffnen. Aber wogegen ich mich in jedem Fall ausspreche: ein soziales Jahr, egal ob freiwillig oder Pflicht, sollte nicht zum Ziel haben, den Personalmangel in der Pflege auszugleichen. Das wäre, als würde man nur das Symptom bekämpfen, aber nicht die Ursache. Nachhaltige Lösungen für den Personalmangel finden wir nur dann, wenn wir die Strukturen konkret angehen. Wir werden moderne und mutige Wege in der Pflege brauchen. Dafür werde ich mich stark machen.

Das Interview führte Volker Hütte

Foto: ©Thomas Ecke

Claudia Moll, geboren am 15. Dezember 1968 in Eschweiler, begann nach der Fachoberschulreife im Jahr 1989 mit der Tätigkeit als Pflegehelferin. Zwischen 2001 und 2004 absolvierte sie die Ausbildung zur staatlich examinierten Altenpflegerin. Schon wenige Jahre nach der Ausbildung startete sie mit ihrer zweijährigen Weiterbildung zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie. Die politische Karriere von Claudia Moll begann im Jahr 1998 mit ihrem Eintritt in die SPD. Erste politische Erfahrungen konnte sie seit 2009 im Rat der Stadt Eschweiler sammeln. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestag (Direktmandat im Wahlkreis 88 – Aachen II). Im 19. Deutschen Bundestag war sie daraufhin unter anderem ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss sowie im Unterausschuss Globale Gesundheit. Claudia Moll ist römisch-katholisch. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.