Rückblick

Vor 90 Jahren: Renée Sintenis gestaltet den berühmten Berliner Bären

 

Der Bär gehört zu Berlin wie der Adler zu Preußen oder die Mainzelmännchen zum Zweiten Deutschen Fernsehen. Er ist identitätsstiftend und als Wiedererkennungswert unverzichtbar. In ihrem Wappen trägt die Stadt den Bären bereits seit 1280, doch in seiner berühmtesten Gestaltungsform gibt es den Berliner Bären erst seit 90 Jahren. Erschaffen hat ihn 1932 eine der schillerndsten Künstlerinnen der Weimarer Republik, die Bildhauerin Renée Sintenis.

Wer auf der Bundesautobahn 115 von Westen kommend die Berliner Stadtgrenze zwischen Dreilinden und dem Zehlendorfer Kreuz erreicht, wird auf dem Mittelstreifen von einer lebensgroßen Bronzeplastik des Berliner Bären begrüßt. Seit 1957 steht die Plastik dort, und alle, die sie passieren, wissen, dass sie endlich in Berlin angekommen sind. Es handelt sich hier um eine Nachbildung ebendieser Skulptur von Renée Sintenis. Weltweiten Ruhm sollte jedoch eine andere, verkleinerte Nachbildung erlangen: seit 1951 wird ihr Berliner Bär als vergoldete oder versilberte Miniatur an die Preisträger der Berlinale verliehen, der Internationalen Filmfestspiele von Berlin.

Geboren wurde Renéee Sintenis 1888 im niederschlesischen Glatz. Kindheit und Jugend verbrachte sie in Neuruppin, ehe sie siebzehnjährig mit ihrer Familie nach Berlin zog. Ihr Kunststudium musste sie im fünften Semester auf Geheiß des Vaters abbrechen, um als dessen Sekretärin am Kammergericht zu arbeiten. Nach kurzer Zeit weigerte sie sich, diese Tätigkeit weiter auszuüben, was zum radikalen Bruch mit der Familie führte. Sie widmete sich fortan der bildenden Kunst. An der ersten großen Ausstellung der Freien Secession im Jahr 1913 nahm sie mit kleinen Gipsplastiken teil. Aufgrund der direkten Nachbarschaft der Secession zum Romanischen Café erhielt die junge Bildhauerin direkten Zugang zu stadtbekannten Künstlern. Legendär wurden ihre Spritztouren im offenen Wage zusammen mit Joachim Ringelnatz und Rainer Maria Rilke.

In der Zeit der Weimarer Republik reifte Renée Sintenis zu einer international anerkannten Künstlerin. Ausstellungen in der Berliner Nationalgalerie, in der Tate Gallery in London, im Museum of Modern Art New York oder in diversen Pariser Museen bestätigen dies eindrucksvoll. Ihre kleinformatigen Bronzen mit Darstellungen junger Tiere oder Sportler (Fußballer, Boxer, Leichtathleten) wurden gleichfalls begehrte Sammlerobjekte. So besaß u. a. Ernest Hemingway mehrere dieser Skulpturen, die er nach eigener Aussage liebte wie keine anderen Kunstwerke.

Die hochgewachsene, schlanke und modebewusste Bildhauerin mit ihrer androgynen Ausstrahlung verkörperte den Typus „Neue Frau“. Trotz ihrer jüdischen Wurzeln (Großmutter) gelang es ihr, im nationalsozialistischen Berlin zu überleben. Renée Sintenis starb als hochanerkannte Berliner Künstlerin am 22. April 1965.

VH

Foto: Renée Sintenis, Commons, Fotografie von Hugo Erfurt, 1930