Soziales Engagement

Young Carers – Hilfe für minderjährige Kinder, die Angehörige pflegen

 

Es ist knapp zwei Jahre her, dass wir im Birkenblatt über das Hilfsprojekt „echt unersetzlich…!?“ berichtet haben. Das der Berliner Beratungs- und Beschwerdestelle „Pflege in Not“ angegliederte Angebot für junge Menschen zwischen 13 und 25 Jahren möchte Jugendliche und junge Erwachsene erreichen, die in die Pflege und Versorgung von Angehörigen regelmäßig eingebunden sind. Im Bundesland Bayern ist nun im Juni 2018 ein Projekt aus der Taufe gehoben worden, das ein ähnliches Anliegen hat, das jedoch eine noch jüngere Zielgruppe anspricht: Young Carers nennt es sich, zu Deutsch: junge Pflegende, und es wendet sich mit Unterstützungsangeboten an unter 18-Jährige, die in ihrem Familien- oder Bekanntenkreis eine pflegebedürftige oder kranke Person haben, um die sie sich regelmäßig kümmern.

Diese Kinder tragen eine spezifische Verantwortung, die gesellschaftlich nicht für sie vorgesehen ist und durch die sie sich von anderen Kindern unterscheiden. Häufig ist es eine chronische Erkrankung innerhalb der Familie, die den Familienalltag verändert und Einfluss auf alle Familienmitglieder nimmt. Kommen dann noch ein hoher Schweregrad der Krankheit und des Pflegebedarfs und ein unterdurchschnittliches Familieneinkommen hinzu, wird die Situation zu einer veritablen Bedrohung. Kinder haben Angst um ihre Eltern und fürchten sich davor, als Familie auseinandergerissen zu werden. Daher sind viele der jungen Pflegenden vordergründig zunächst einmal darum bemüht, den Alltag irgendwie aufrechtzuerhalten. Sie übernehmen aktiv Verantwortung und verfolgen zwei Strategien, um ihre Familie zusammenzuhalten. Die erste lautet: Ich fülle die Lücke klaglos aus und bin in ständiger Alarmbereitschaft, die zweite – und belastendere – kann umschrieben werden mit: Ich hülle einen Mantel des Schweigens um meinen Pflegealltag.

Lana Rebhan, eine Jugendliche aus Bad Königshofen in der Nähe von Schweinfurt (Unterfranken) ist aus dem ewigen Kreislauf von Pflichterfüllung und Schweigen ausgebrochen. Die 15-Jährige, die sich seit sieben Jahren intensiv um ihren kranken Vater kümmert, gründete im Jahr 2018 die Website www.young-carers-de als gemeinnützige Unternehmergesellschaft. Von anderen jungen Pflegenden hatte sie erfahren, dass diese im gleichen Dilemma wie sie steckten: ein Elternteil ist schwer erkrankt und kann nicht arbeiten, das andere Elternteil ist ganztägig arbeiten. Die Pflege bleibt daher dem Kind überlassen.

„Du bist nicht alleine“, prangt in großen Lettern von der Startseite des Netzauftritts. Seine Initiatorin belegt diese trostvolle Aussage auch sogleich mit Zahlen: 480.000 Kinder pflegen deutschlandweit zu Hause, Mama, Papa, Oma, Opa oder Geschwister. 2 Millionen  Kinder leben hierzulande mit behinderten oder chronisch kranken Eltern/Angehörigen, 4 Millionen Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern oder Angehörigen. Es ist jedoch der folgende Satz, der als Mutmacher und als Angebot schon viele Menschen mit ähnlich gelagerten Problemen angesprochen und ermutigt hat: „Eine Person kann reichen, um dein Leben zu bereichern. Wir helfen dir bei der Suche.“

Über ihre Homepage informiert Lana Rebhan, sie gibt Betroffenen Ratschläge und kommt mit Kindern in Kontakt, die ähnliche Erfahrungen teilen. Deren Berichte über das Leben mit einem kranken Elternteil nehmen inzwischen sogar einen ganz zentralen Platz auf ihrer Seite ein. Lanas Ziel: „Ich möchte den Kindern eine Stimme geben. Das Schicksal der „Young Carers“ muss mehr in der Öffentlichkeit stehen.“

Die junge Initiatorin hat beschlossen, etwas aktiv dafür zu tun, dass sich etwas im Leben ändert – in ihrem eigenen,  aber auch im Leben anderer Betroffener. Bis heute hat sie mehr als 2.000 Politiker angeschrieben, sie sprach sogar vor dem Bayerischen Landtag und im letzten Jahr hielt sie auf einer Kindertagung in Würzburg einen Vortrag zum Thema „Young Carers“. „Es kann doch nicht sein, dass wir mit unseren Ängsten und Problemen komplett alleine gelassen werden, wir brauchen Hilfe und Unterstützung“, fordert sie. Eine ihrer Ideen lautet: „Pflegende Kinder und Jugendliche müssen, bis sie 16 Jahre alt sind, Anspruch auf eine Haushaltshilfe haben. Ganz gleich ob die Eltern stationär oder wegen schwerer Krankheit ambulant behandelt werden.“

Einer, der das grundlegende Problem erkannt hat und Lana Rebhan unterstützt, ist Ralph Knüttel vom Regionalvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe Unterfranken. Er sieht gleichfalls eklatante Mängel im System und verlangt: „Dieser Gruppe muss dringend und schnell geholfen werden.“ Er spricht sich für eine Sensibilisierung der Beraterinnen und Berater bei den Pflegestützpunkten für das Thema aus. Man müsse auch in der Schule ansetzen, Young Carers im Sozialkundeunterricht behandeln und ihnen Ansprechpartner geben“, sagt er. Auch pflichtet er Lana Rebhan bezüglich der Haushaltshilfen bei. Laut Gesetz dürfen nämlich nur Kindern und Jugendlichen unter zwölf Jahren auf Antrag bei der Krankenkasse Haushaltshilfen gewährt werden. Diese Grenze müsse auf 16 Jahre hochgesetzt werden.

Für ihr bewundernswertes Engagement, als selbst Betroffene auch noch anderen jungen Pflegenden helfen zu wollen (und zu können!), ist Lana Rebhan in Berlin mit dem Pflegecompass 2019 ausgezeichnet worden. Dieser renommierte Pflegepreis wird seit 2010 an pflegende Angehörige und Ehrenamtliche verliehen.

VH

Lana Rebhahn bei der Auszeichnung für den "Pflegecompass"