Soziales Engagement

Gemeinsames Singen für mehr Lebensfreude im Alter

 

„Hier wird gerappt, gerockt und geflirtet, was das Zeug hält. Aufrichtig, anrührend, mit-reißend – ein wirklich bedingungsloses Ja zum Leben!“

Diese Zeilen schrieb die „Hamburger Morgenpost“ vor  drei Jahren, nachdem eine Mitarbeiterin eine Musikveranstaltung besucht hatte. Nicht einer der angesagten neuen deutschen Bands hatte ihr Interesse gegolten, auch nicht einer der großen Rockformationen der 70er Jahre, die zu ihrer fünften Abschiedstournee nach Hamburg gekommen waren. Nein, sie war aufgrund eines Tipps im Freundeskreis zu einem Auftritt eines nahezu unbekannten Chors gefahren. Das Besondere an diesem Chor war, dass alle Sängerinnen und Sänger Senioren waren und dass sie alle gemeinsam Lieder aus der heutigen Zeit sangen.

Seit der Premiere im August 2013 im St. Pauli Theater hat sich diese wunderbare Gesangstruppe eine große Fan-Gemeinde erworben. Denn bei den über 30 Sängerinnen und Sängern zwischen 70 und 87 Lebensjahren stehen ausschließlich die Hits ihrer Enkel auf dem Notenblatt: „Smells like Teen Spirit“ von Nirvana, „Viva la Vida“ von Coldplay, „Sie ist weg“ von den Fantastischen Vier, „Die perfekte Welle“ von Juli oder „Gekommen um zu bleiben“ von Wir sind Helden. Begleitet werden sie bei ihren Darbietungen von erfahrenen Profimusikern, denen man den Spaß ansieht, die sie auf der Bühne mit den Oldies haben.

Der musikalische Leiter ist Jan Christof Scheibe. Der Sohn eines Kantors ist selber ein Allrounder und kennt die Hamburger Musik-szene wie kaum ein anderer. Er war Mitglied in vielen Bands, ist Komponist, Arrangeur und Musikproduzent in einer Person. Als er den Chor 2013 ins Leben rief, bewarben sich etwa 100 Sängerinnen und Sänger bei ihm. Von ihnen duften dann 40 vorsingen, 32 wurden schließlich für das Ensemble genommen. Nach den ersten Proben steht der Chor durchschnittlich drei- viermal im Monat auf der Bühne. Und jedes Mal gibt es Beifallsstürme vom Publikum für die Akteure mit ihren  mehr als 2.000 Jahren Lebenserfahrung.

Der Name des Heaven Can Wait Chores (Deutsch: Der Himmel kann warten) ist dabei Programm: Wir leben im Hier und Jetzt und genießen unsere Zeit in vollen Zügen, ist die allgemeine Denkweise der Chormitglieder. Dass Singen – zumal in Gemeinschaft – die Lebensfreude steigert und gegen Depressionen hilft, ist hinlänglich bekannt. Dass Singen auch in hohem Maße gesund ist, überrascht dann vielleicht doch.  

Schon zehn Minuten intensives Singen oder Summen reichen aus, um das Herz-Kreislauf-System in Schwung zu bringen. Die Atmung intensiviert sich, der Körper wird besser mit Sauerstoff versorgt. Professionelle Sänger haben sogar ein deutlich höheres Herzvolumen und sind so fit wie trainierte Dauerläufer. Die moderne Forschung hat die gemütsaufhellende Wirkung des Singens in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. Schon nach dreißig Minuten Singen produziert unser Gehirn erhöhte Anteile von „Glückshormonen“, von Serotonin und Noradrenalin und Endorphinen. Stresshormone wie zum Beispiel Cortisol werden als Nebeneffekt gleich mitabgebaut. Und nicht zuletzt stärkt Singen die körpereigenen Abwehrkräfte. Auch Gedächtnis und Gehör älterer Sänger profitieren vom Tontraining. Wer sich den Klang der Stimme vorstellt, hält sich geistig fit. Denn das Gehirn macht die Musik.

Viele Menschen haben trotz Freude am Singen und einer passablen Singstimme Hemmungen im Chor zu singen. Bei einigen liegt es daran, dass sie keine Noten lesen können (was bei vielen Chören gar nicht Bedingung ist!), bei anderen, weil sie glauben, die eigene Singstimme würde den An-sprüchen nicht genügen. Wer singt, gibt ja auch immer etwas von sich preis, die Stimme ist etwas sehr Persönliches, und etliche Menschen scheuen diese Intimität.

Doch anders als bei vielen rein körperlichen Betätigungen kann man den Chorgesang auch noch problemlos im Alter praktizieren. Bei schwierigeren Gesangspassagen darf man sich auch mal im Vertrauen auf die Nachbarn vornehm zurückhalten, um dann an geeigneter Stelle wieder einzusteigen.

Die ersten Seniorenchöre entstanden im deutschsprachigen Raum in den 1970er Jahren, wie der Ernst-Busch-Chor Berlin. Ihre Zahl nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung kontinuierlich zu. Auch in Kirchengemeinden entstehen Seniorenchöre, um den sangesfreudigen Mitgliedern im höheren Alter eine passende Form der aktiven Beteiligung zu bieten. Die Internetplattform Singen im Alter verzeichnet über einhundertzwanzig Seniorenchöre und gibt Hinweise zu Literatur und geeignetem Notenmaterial. Es finden sich kirchliche Chöre, Rock- und Popchöre und sogar Chöre für Menschen mit Demenz – auch in jedem Berliner Bezirk.

Fragt man nach der Motivation bei langjährigen Mitgliedern von Seniorenchören nach, dann erhält man zumeist ähnliche Antworten: die unbändige Lust am Singen in der Gemeinschaft und das Auftreten bei Veranstaltungen. Oder, um es mit dem „Heaven Can Wait“ Mitglied Gisa Findorff zu sagen: „Es ist schon toll, wenn man mit 74 Jahren noch Herzklopfen hat.“       

VH

Foto: Frank Siemers

Der Heaven Can Wait Chor bei einem Auftritt

Foto: Werner Jahnke

Junges Mädchen aus Namibia