Soziales Engagement

Silbernetz – der Telefondienst für einsame ältere Menschen

 

Einsamkeit und dauerhafte soziale Isolation gehören zu den häufigsten Begleiterscheinungen des Altwerdens. Wer als betagter Mensch allein lebt und nicht das Glück hat, über empathische Nachbarn oder liebe Verwandte in unmittelbarer Nähe zu verfügen, der hört und sieht mitunter tagelang keine Menschenseele. Bei manchen, die einen Pflegerad haben, kommt der ambulante Pflegedienst vorbei, doch dessen Mitarbeiter/innen haben in der Regel auch nicht viel Zeit für persönliche Gespräche. Doch gerade der direkte Austausch, die Kommunikation, gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie Atmung, Nahrungsaufnahme und Schlaf.

„Nicht gewollte Einsamkeit ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema“, sagt Elke Schilling. Die Diplom-Mathematikerin und freiberufliche Mediatorin  kennt sich mit diesem Thema bestens aus, nicht erst aus ihrer Zeit als Vorsitzende der Seniorenvertretung Berlin-Mitte weiß sie um die Situation vieler älterer Menschen in der deutschen Hauptstadt. Vor fünf Jahren beschloss sie zusammen mit sieben weiteren engagierten Personen etwas dagegen zu unternehmen.

Elke Schilling hatte von der „Silver Line“ in London erfahren, ein Telefonnetzwerk älterer Bürger/innen. So etwas könne man doch auch hier auf die Beine stellen, dachte sie und machte sich an die Arbeit. Viele Gespräche, Anschreiben  und Verhandlungen später wurde dann nach jahrelanger Vorbereitungszeit ein Probelauf anberaumt. Zur Weihnachtszeit 2017 wurde eine gute Woche lang das „Silbertelefon“ geschaltet. Mehr als 200 Anrufe erreichten das Team von Silbernetz während dieser Zeitspanne – und großartiger Erfolg, der für eine öffentliche Wahrnehmung in Berlin sorgte und den Initiatoren einen gewaltigen Motivationsschub brachte. Es folgte eine einjährige Förderung durch Lottomittel. Der 2016 gegründete Verein Silbernetz, der selbst in der Trägerschaft des Humanistischen Verband Deutschlands steht, wurde zum Träger des „Silbertelefons“, der Hotline für einsame Menschen in Berlin.

Mittlerweile hat sich das „Silbertelefon“ mit seinem Ansatz, vereinsamten älteren Menschen einen Weg aus der Isolation zu bahnen, zum dreistufigen Projekt entwickelt: es ermöglicht anonyme Kontaktaufnahme, den schrittweisen Wiederaufbau persönlicher Verbindung sowie die Vernetzung zu zahlreichen Angeboten für ältere Menschen in ihrem Umfeld und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. 

Die kostenfreie Rufnummer 0800 4 70 80 90 des „Silbertelefons“ ist  für Anrufer/innen aus Berlin und vorerst von 8 bis 20 Uhr erreichbar. Das Angebot, darauf legt Elke Schilling wert, ist anonym, vertraulich und kostenlos. Der Verein hat inzwischen auch eine Art Gesprächsvermittlung organisiert. So genannte Silbernetz-Freundinnen oder Silbernetz-Freunde, rufen eine einsame Person zuverlässig regelmäßig  einmal die Woche an. Wer auch immer Interesse an einer solchen ehrenamtlichen Tätigkeit hat, kann sich beim Verein Silbernetz erkundigen und anschließend mitmachen.

Der Verein hat seinen Sitz in der Wollankstraße im Wedding, unmittelbar an der Bezirksgrenze zu Pankow und somit an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Ein Raum des Büros ist nur für das Telefonteam eingerichtet. Vier Telefonplätze, getrennt durch Schallschutzaufbauten, sind dort installiert, eines davon ist tagtäglich von 8 bis 20 Uhr erreichbar. Neben den vielen ehrenamtlich Tätigen arbeiten sieben Personen als gering Beschäftigte oder in Teilzeit für Silbernetz. Die Kooperation mit dem Jobcenter Lichtenberg zahlt sich für den Verein aus: die Damen und Herren am Telefon sind größtenteils schwerbehindert und werden daher vom Jobcenter im Rahmen einer Förderung bezahlt. Und sie erhalten dadurch die Chance, sich eine Perspektive für ihr späteres Berufslaben zu sichern. „Entscheidend aber ist, dass alle Mitarbeiter/innen empathisch sind und geduldig“, schildert Elke Schilling deren Qualitäten. „Wenn jemand zeitlich allzu ausufernd telefonieren möchte, weisen wir sie oder ihn aber freundlich darauf hin, dass es noch andere Menschen mit einem Gesprächsbedarf gibt.“

Seit Oktober hat der Verein auch eine Angestellte für Öffentlichkeitsarbeit. Melanie Hansen ist Ansprechpartnerin für Medien sowie potenzielle Unterstützer und Sponsoren. Das ist kein einfaches Unterfangen. Nach dem Auslaufen der Mittel aus der Lotto Stiftung Berlin ist der Verein froh, mit der Santor Stiftung und der Gercke und Lala Stiftung zwei freigiebige Partner gewonnen zu haben. Melanie Hansen verteilt aber auch die Statistiken, die die Vereinsarbeit dokumentieren und ins rechte Licht rücken.

Das „Silbertelefon“ ist kostenfrei erreichbar unter 0800 4 70 80 90

Demnach sind 80 Prozent der Anrufer des „Silbertelefons“ älter als 60 Jahre und vorwiegend weiblich. Die Mehrzahl der Anrufe findet zwischen 9 und 18 Uhr statt, die durchschnittliche Gesprächsdauer beträgt 20 Minuten. Innerhalb der ersten zehn Wochen führten die Mitarbeiter/innen rund 1.000 Gespräche am Telefon bei insgesamt 1.500 Anrufversuchen. Mit der Telefonseelsorge habe man gute Kontakte, beide Telefondienste sähen sich nicht als Konkurrenz, sondern vielmehr als fachliches Ergänzungsangebot.

Elke Schilling meint zum Abschied: „Es ist faszinierend, mit wie vielen Helfern und Unterstützern aus unserer Vision Wirklichkeit wird. Den alten und gesprächsbedürftigen Berliner Menschen kommt das schon zugute. Wir befinden uns jedoch nach wie vor in einem spannenden Lernprozess mit einem besonderen Fokus auf die Schulungen und den Aus-tausch mit unserem Telefonteam.“

VH

Elke Schilling, die Initiatorin von Silbernetz, am „Silbertelefon“

Foto: Silbernetz e.V.

Rund 1.000 Gespräche während der ersten zehn Wochen