Und immer wieder lockt der Patiententreffpunkt

Es ist wieder mal Mittwoch. Fünf ältere Damen haben sich im Hochparterre des Seitenflügels in der Birkenstraße 14 versammelt. Man merkt sofort, dass sie sich kennen und schätzen, denn unverkrampft, fröhlich und gelöst ist die Stimmung. Die Damen befinden sich im Patiententreffpunkt der Pflegestation Jahnke, einem eigens für Begegnungen und Unterhaltungen kleinerer Gruppen gestalteten Ort. Ein gemütlich eingerichteter Gruppenraum, eine Küche, Büro und Toilette – mehr braucht man nicht, um eine Wohlfühl-Atmosphäre zu erzeugen. Und wenn man die Damen fragen würde, die gemeinsam mit Betreuerin Silke Redlich um einen hölzernen Tisch sitzen, würden sie bestimmt sagen: Gott sei Dank ist wieder Mittwoch!

Erst seit wenigen Wochen ist Brunhilde Schindler mit von der Partie. Ihre Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie sich Eigeninitiative lohnen kann. Von Waltraud Wons, einer langjährigen Freundin, die schon lange den Jahnke-Patiententreffpunkt besucht, hatte sie häufig gehört, wie gut ihr die Stunden dort täten. Als sie dann selbst Patientin der Pflegestation Jahnke wurde und eines Tages ein „Birkenblatt“ in der Hand hielt, sah sie das Foto von Betreuerin Silke Redlich und eine Telefonnummer darunter. Kurz entschlossen rief sie an und fragte nach, ob denn ein Platz für sie frei sei. Sie hatte Glück: nach kurzer Zeit schon wurde sie zum ersten Gruppentreffen mit dem stationseigenen Bus abgeholt.  

„Der Bus ist das große Plus“, sagt Renate Gottwald, ein weiteres Mitglied der Mittwochgruppe, und freut sich über den geglückten Reim. Sie ist wie alle anderen glücklich darüber, dass sie morgens abgeholt und nachmittags wieder nach Hause gefahren wird.

Renate Gottwald ist schon seit zweieinhalb Jahren dabei, ein „alter Hase“ sozusagen. Beim aktuellen  Patientenkalender ziert sie das Februar-Blatt. „Als ich das Foto auf der Trabrennbahn zum ersten Mal sah, da fragte ich mich, wer das denn sei. Ich habe mich in der schicken Verkleidung gar nicht erkannt“, schmunzelt sie. Auch Brigitte Schacht, die im Taucheranzug auf dem Mai-Foto zu bewundern ist, kommt schon seit längerem. Drei Jahre werden es im Juli sein.

Bis zum Ende der Spargelsaison am 24. Juni, dem Johannistag, wird Silke Redlich wieder alle Patientengruppen in den Bus einladen und den Weg nach Busendorf einschlagen, einen Ortsteil der berühmten Spargelstadt Beelitz. Diese Fahrten sind – ebenso wie die weihnachtlichen Lichterfahrten – ein Höhepunkt für die Patientengruppen. Momentan stehen die Termine für die Fahrten noch nicht fest, man möchte auf etwas wärmeres Wetter warten, aber es ist ja noch Zeit. Für Ruth Helmig, die „Dienstälteste“ in der Mittwochgruppe, wird die Fahrt eine Premiere sein. So richtig getraut hat sie sich bislang nicht, mit Rollator oder Rollstuhl den Weg anzutreten. Silke Redlich brachte ihr aus Busendorf zwar immer frischen Spargel mit, doch diesmal möchte sie auf jeden Fall mitkommen. „Alle anderen schwärmen immer von der Fahrt und dem Ort. Ich möchte das auch noch mal erleben.“

Insgesamt vier Patientengruppen betreut Silke Redlich zurzeit: montags und mittwochs treffen sich reine Gesprächsgruppen, dienstags wird gekniffelt und freitags ist es schöne Tradition, sich zum Canasta zu treffen. Die Betreuerin, die nun schon im 23. Jahr den Jahnke-Patiententreffpunkt leitet, hat ein geschultes Auge darauf, welcher Neuzugang in welche Gruppe passen könnte. „Es geht um die Gemeinschaft“, erläutert sie, „und da muss die Chemie stimmen.“ Man wisse genau, dass hier ein besonderes Angebot vorhanden sei, das bei anderen Pflegestationen nicht existiere, aber das Angebot müsse auch immer gelebt werden. Und dazu gehöre unbedingt das Verständnis der Gruppenmitglieder untereinander.

Ein schönes Beispiel hierfür ist Phönix. Seit eh und je ist es ungeschriebenes Gesetz, dass Haustiere nicht mit in die Gruppen hineinkommen. Waltraud Ebert, Mitglied der Mittwochgruppe, hat einen kleinen Hund, einen achtjährigen Japan Chin, der einem Pekinesen recht ähnlich ist. Von Haus aus ein freundlicher Wohnungshund, war er untröstlich, als Frauchen zum ersten Mal zum Treffpunkt abgeholt werden sollte und konnte sich gar nicht beruhigen. Ratlosigkeit machte sich breit, denn Frau Ebert wollte nicht auf die in Aussicht gestellten regelmäßigen Treffen verzichten. Da beschloss Silke Redlich, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen und kündigte allen übrigen Gruppenmitgliedern an: „Wir bekommen anderthalb neue Besucher.“ Seitdem ist Phönix nicht nur immer mit dabei – er ist der Liebling aller geworden und genießt die Stunden in der Birkenstraße offensichtlich genauso intensiv wie Frauchen.

Sind die wöchentlichen Besuche des Patiententreffpunkts der Kuchen, dann sind die Ausflüge und die Weihnachtsfeiern das Sahnehäubchen. Organisatorisch ist das auch für eine routinierte Betreuerin wie Silke Redlich eine Herausforderung. Jede einzelne Person abzuholen, Rollatoren und Rollstühle einzuladen, auf Sonderwünsche zu reagieren und – nicht zu vergessen – Hin- und Rückfahrt zu bewältigen, erfordert bei aller Freude über die Ausflüge viel Kraft und eine Portion Gelassenheit. Da passt es gut, dass ihr Mann Uwe ihr gelegentlich zur Seite steht und mit anpackt. Unvergessen sind den Gruppenmitgliedern zum Beispiel seine kulinarischen Fähigkeiten. Zur letzten Weihnachtsfeier kochte er für alle vier Gruppen im Patiententreffpunkt – und das nach Wunsch.  

Im September sind es wie schon erwähnt 23 Jahre, die Silke Redlich für den Patiententreffpunkt arbeitet. Viele unterschiedliche ältere Damen und auch Herren hat sie seitdem betreut, mindestens genauso viele Geschichten kann sie erzählen. Eine davon geht ihr besonders nah: „Mit Charlotte Collet gibt es tatsächlich eine Dame, die von Anfang an dabei ist. Sie kommt wie ich seit 1994 in den Patiententreffpunkt.“                

Für die Zukunft hat die Betreuerin noch einige Ideen auf Lager. So schwebt ihr etwa eine Berliner Currywurst-Fahrt mit allen Gruppen vor. „Viele haben seit Jahren keine mehr an einer Bude gegessen und träumen regelrecht davon.“

VH

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Foto: Volker Hütte
Die Mittwochsgruppe im Patiententreffpunkt v.l.: Waltraud Ebert mit Hund Phönix, Brigitte Schacht, Brunhilde Schindler, Silke Redlich, Renate Gottwald und Ruth Helmig