Nachgefragt

Interview mit Franziska Giffey, SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus

 

Frau Giffey, seit nunmehr 20 Jahren stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Was stimmt Sie optimistisch, dass diese Tradition nach der Wahl im September bestehen bleibt – dann aber mit einer SPD-Frau im Amt?

Unser Berlin gehört zu den attraktivsten Städten Europas und der Welt. Dazu hat die sozialdemokratische Politik, die diese Stadt seit vielen Jahren mit großer Erfahrung und Kompetenz gestaltet, einen entscheidenden Beitrag geleistet. Wir wollen an diesen Erfolg anknüpfen und die Berlinerinnen und Berliner mit einem guten Angebot überzeugen. Denn die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass ihre Stadt funktioniert und das die Aufgaben, die vor uns liegen, angegangen werden. Dafür tritt die SPD Berlin mit einem starken Zukunftsprogramm an. Schon in Neukölln war mir wichtig: hingehen, zuhören, anpacken und Probleme lösen. So funktioniert es überall und darin sehe ich meine Stärke. Gemeinsam mit den Berlinerinnen und Berlinern will ich unsere Stadt zu einer sozialen und sicheren Metropole weiterentwickeln, die lebenswert und zukunftsfähig ist.

Als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln kennen Sie Berlin aus der politischen Verantwortung. Was sind die drängendsten Herausforderungen, die nach der Wahl angegangen werden müssen?

Ich habe den Berlinerinnen und Berlinern die Zusage gemacht, den Wohnungsneubau zur Chefinnensache zu machen, denn die große soziale Frage dieser Stadt ist die des bezahlbaren Wohnens. Bis zum Jahr 2030 haben wir uns zum Ziel gesetzt, 200.000 neue Wohnungen zu bauen. Dafür werden wir mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen, den Genossenschaften und auch den privaten Wohnungsunternehmen partnerschaftlich zusammenarbeiten und einen Runden Tisch für ein Wohnungsneubaubündnis einrichten.

Bauen ist eines unserer 5 B‘s für Berlin. Wir beschreiben mit unseren 5 B´s für Berlin die Themenfelder, die jetzt angepackt werden müssen und die für die Menschen in der Stadt zentral sind: Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernahe Verwaltung und Berlin in Sicherheit. Bei allen 5 B´s denken wir unsere Querschnittsthemen wie den Klimaschutz oder die Familienpolitik in einer Stadt der Vielfalt konsequent mit. Denn diese Aufgaben betreffen alle Bereiche.

In der Berliner Bevölkerung gibt es laut neuer Umfragen eine wachsende Sympathie für eine Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen. Wie stehen Sie dazu?

Enteignungen sind für mich nicht der richtige Weg, um die große soziale Frage des bezahlbaren Wohnens zu lösen und wecken kein Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Berlin. Pauschal Eigentümer mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen, ist weder zielgenau noch gerecht. Es kostet das Land Berlin Milliarden und die Initiative steht auf rechtlich sehr dünnem Eis. Außerdem entsteht keine einzige neue Wohnung dadurch. Wir müssen bessere Lösungen finden. Dafür setzen wir auf gesetzliche Wege zur Dämpfung von Mietpreissteigerungen, die wirksame Umsetzung von Mieterschutzregelungen und auf den Neubau bezahlbarer Wohnungen.

Die Corona-Pandemie hat uns alle nach wie vor im Griff. Kultur, Hotels, Gastronomie und etliche Einzelhändler leiden neben anderen besonders darunter. Wie können diese Branchen aus der existenzbedrohenden Krise kommen?

Wir haben mit unserem Zukunftsprogramm "Neustart Berlin" ein Maßnahmenpaket für die gezielte Stärkung der von der Pandemie stark betroffenen Branchen Gastronomie und Hotels, Veranstaltungswirtschaft, Einzelhandel und Kultur erarbeitet – für eine attraktive und wettbewerbsfähige Metropole nach der Krise. Dazu gehört unter anderem, den HOGA-Campus zu entwickeln, um genügend Fachkräfte auszubilden. Wir setzen uns für eine Fortsetzung der Überbrückungshilfen ein und wollen temporär Sondernutzungsrechte für Straßenland kostenfrei zur Verfügung stellen. Weiter werben wir um neue Leitmessen und internationale Kongresse und halten bestehende Messen in Berlin. Im Einzelhandel unterstützen wir die Arbeit von Einkaufsstraßen-AGs und bauen diese aus. Außerdem werden wir Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren mit einem Kulturgutschein in Höhe von 100 Euro den Besuch unterschiedlichster Kulturveranstaltungen ermöglichen und alle Berliner:innen zu einem „Tag der Kultur“ einladen.

In Ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin waren Sie auch für das Thema Pflege zuständig. Wo drückt in der Hauptstadt im Pflegesektor der Schuh?

Wir müssen den Fachkräftemangel konsequent angehen. Applaus für die Arbeit in den Pflegeberufen ist gut und wichtig. Das allein reicht aber nicht. Entscheidend ist, das Berufsfeld dauerhaft attraktiv zu machen. Das fängt bei der vergüteten, schulgeldfreien Ausbildung an, geht weiter über ein attraktives Pflegestudium und muss sich in den Arbeitsbedingungen und bei den Löhnen bewähren.

Wir unterstützen Entlastungstarifverträge in der Pflege und stehen für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in den Krankenhäusern. Die landeseigenen Krankenhäuser Vivantes und Charité haben hierbei eine Vorbildfunktion. Die Berliner SPD hat mit dem „Berliner Pakt Pflege“ dem spürbaren Fachkräftemangel entgegengewirkt und die Weichen für attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen im Berliner Pflegesektor gestellt. Für ein gut ausgebildetes Pflegepersonal werden wir diesen Weg weiterverfolgen und die Ausbildungszahlen und Studienplätze für alle Gesundheits- und Pflegeberufe deutlich erhöhen.

Unser Ziel ist es, allgemeinverbindliche Branchentarifverträge zu schaffen.

Das Interview führte Volker Hütte

Foto: Jonas Holthaus

Franziska Giffey, geboren am 3. Mai 1978, ist Spitzenkandidatin der Berliner SPD bei der Abgeordnetenhauswahl 2021. Gemeinsam mit Raed Saleh ist sie seit Ende 2020 Landesvorsitzende der SPD Berlin. Von 2018-2021 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zuvor war Franziska Giffey Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln.