Rückblick

Vor 50 Jahren: Der Verkehrsvertrag bringt Reiseerleichterungen für West- und Ostberliner

 

Alle nach 1989 geborenen Berlinerinnen und Berliner und alle danach Zugereisten müssen schon über eine gewisse Vorstellungskraft verfügen, wenn sie sich die Zustände an den einstigen Berliner Grenzübergängen ausmalen wollen. Vor der politischen Wende von 1989, als es noch zwei deutsche Staaten und seit 1961 zwei durch eine riesige Mauer geteilte Stadt Berlin gab, war es über ein Jahrzehnt lang fast unmöglich, von einer zur anderen Hälfte der Stadt zu gelangen. Nur wenigen Menschen war dies mit einer Sonderverfügung gestattet. Diplomaten zählten dazu, Reichsbahnangehörige und Postbeamte. Alle Berliner Grenzübergänge waren von der DDR zu einem nahezu unüberwindlichen Hindernis ausgebaut worden. Lediglich um die Weihnachtszeit durften Westberliner mit einem „Passierschein“ ihre Verwandten in Ostberlin besuchen.

Nach der Bundestagswahl von 1969, als es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt gab, änderte sich die Ostpolitik. Die westdeutsche Regierung leitete einen außenpolitischen Kurswechsel ein und bemühte sich darum, die Beziehungen zur DDR zu verbessern. Zum Schlagwort wurde das Motto „Wandel durch Annäherung“.

Es erschien nicht nur vielen Berlinern wie ein Wunder, dass zwischen den beiden deutschen Staaten am 26. Mai 1972 ein Verkehrsvertrag geschlossen wurde (in Kraft getreten im Oktober 1972). Dieser regelte alle Fragen zum Transit- und sonstigen Grenzverkehr, darunter insbesondere Reiseerleichterungen für Bundesbürger in die DDR und für DDR-Bürger, die in dringenden Familienangelegenheiten nach Westdeutschland reisen durften. Aber was für bürokratische Hindernisse galt es vorab zu überwinden!

Ein Berechtigungsschein zum Empfangeines Visums der DDR war die Voraussetzung für Besuche und Reisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in Westberlin nach Ostberlin bzw. in die DDR. Für Westdeutsche und Ausländer war die Einreise mit einem gültigen Reisepass nach direkter Visumerteilung an der Grenzübergangsstelle sofort möglich, allerdings nur für das Stadtgebiet von Ostberlin. Westberliner hatten es da schwerer, da die DDR-Behörden Bundes-Reisepässe von Westberlinern nicht anerkannten. Westberliner durften nur mit dem „behelfsmäßigen Berliner Personalausweis“ reisen. Mit seiner Vorlage konnten sie einen Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums der DDR beantragen. Zur Prüfung der Visumsanträge wurden in Westberlin vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR fünf „Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten“ errichtet, u.a. in Kreuzberg, Wedding und Spandau.

Trotz der Bürokratie: 1973 wurden dank des Verkehrsvertrags mehr als 3,5 Millionen Reisen nach Ost-Berlin und in die DDR gezählt, dreimal so viele wie 1970. Auch in umgekehrter Richtung gab es Verbesserungen. 40.000 DDR-Bürger:innen unterhalb des Rentenalters durften in dringenden Familienangelegenheiten den Westen besuchen.                         

VH

Foto: ©Bundesarchiv Bild 183-85417-0003

Grenzkontrolle am Brandenburger Tor 1961