Soziales Engagement

Veritas – Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen

 

Verschwörungserzählungen gibt es mindestens seit dem Mittelalter. Sie entstanden in Europa und wurden von dort in alle Welt getragen. Doch erst mit der allgemeinen Nutzung des Internets nahm ihre Verbreitung rasant zu. Bereits im 14. Jahrhundert suchten die Menschen Sündenböcke für Ereignisse wie die Pest oder Erntekatastrophen und machten oft Minderheiten wie Juden oder vermeintliche Hexensekten dafür verantwortlich. Doch auch unserer angeblich so aufgeklärten Zeit gedeihen Verschwörungstheorien offenbar prächtig.

Eine ihrer bekanntesten Varianten, die sich seit Jahrzehnten hartnäckig hält, ist die Behauptung, die Mondlandung 1969 habe es nie gegeben. Stattdessen sei sie von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA in einem Filmstudio gedreht worden. Eine weitere, weit verbreitete Verschwörungstheorie bezieht sich auf die Kondensstreifen, die Flugzeuge durch Wasserdampf und Abgase hinterlassen. Sie beflügeln die Fantasie der Chemtrail-Anhänger. Diese sind der Meinung, durch die Chemtrails (ein Kunstwort ausdemenglischen Wort chemicals für Chemikalien und contrails für Kondensstreifen) würden Gifte versprüht, die wahlweise zur Klima-, Gedanken- oder Bevölkerungskontrolle genutzt würden.

Obwohl es wissenschaftlich seit Jahrhunderten widerlegt ist, glauben Millionen von Menschen noch – oder wieder –, die Erde sei eine Scheibe. Ihre Anhänger vertreten dies leidenschaftlich. Ursache ist eine Schrift des britischen Autors Samuel Rowbotham von 1849. Da die Kugelform der Erde nicht zu dem passen wollte, was in der Bibel steht, musste sie seiner Ansicht nach flach sein. So einfach machen sich manche Leute die Welt.

Verblüffend schnell verbreiteten sich mit Beginn der Corona-Pandemie auch Verschwörungstheorien zum Corona-Virus. Mit tatkräftiger Unterstützung von Prominenten wie Schlagersänger Michael Wendler, Musiker Xavier Naidoo, Koch Attila Hildmann und anderen verkündeten sie ihre abstrusen Theorien: Corona sei in einem Labor künstlich hergestellt worden; es werde über den Mobilfunkstandard 5G verbreitet, um möglichst viel Schaden anzurichten; Corona sei ein Vorwand, die Bevölkerung zu kontrollieren; Bill Gates sei verantwortlich für die Pandemie, wolle alle Menschen zwangsimpfen und Macht über sie erlangen; und schließlich der ultimative Unfug: Corona existiert gar nicht.

Diese und ähnliche Verschwörungstheorien verbreiteten sich rasend schnell vor allem dank tausendfach versandter Videos  selbsternannter „Experten“. Ihre Anhänger mobilisierten große Demonstrationen, um gegen die „Freiheitsbedrohung“ und die „Merkel-Diktatur“ zu opponieren. Mit zunehmender Radikalisierung sorgte dies aber für Fassungslosigkeit bei allen Impfbefürwortern. Besonders im pri­vaten Um-feld wurde die Auseinander­setzung mit Verschwörungs­glauben eine große Belastung und riss teilweise tiefe Gräben in familiäre und persönliche Beziehungen. Immer öfter drehten sich Gespräche nur noch um die Verschwörungs­erzählungen und – als noch schlimmer empfunden – wurden Überzeugungsversu­che durch die verschwörungsgläu­bigen Personen unternommen.

In Berlin hat im Februar 2021, ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie, die Beratungsstelle Veritas ihre Türen geöffnet. Hier können sich Betroffene von Verschwörungserzählungen aussprechen und wertvolle Tipps und Ratschlag abholen. Wir beraten Sie, wenn Sie sich durch ­Menschen, die Verschwörungs­erzählungen verbreiten, belastet fühlen. Wir möchten Ihren Leidens­druck mindern und Ihnen ­unter Umständen auch ermöglichen, wieder in Beziehung mit der betreffenden Person zu treten. Auf der Website www.veritas-beratung.de der Beratungsstelle heißt es: „Wir beraten Sie, wenn Sie sich durch ­Menschen, die Verschwörungserzählun­gen verbreiten, belastet fühlen. Wir möchten Ihren Leidens­druck mindern und Ihnen ­unter Umständen auch ermöglichen, wieder in Beziehung mit der betreffenden Person zu treten.“

Neben der Beratung von Familien und dem Umfeld von verschwörungsgläubigen Menschen wird ebenfalls Unterstützung für Fachkräfte angeboten, in deren Alltag Verschwörungserzählungen eine Rolle spielen. So können etwa Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen Veritas kontaktieren.

Veritas arbeitet ressourcen- und lösungsorientiert, um die Ratsuchenden zu­ ­befähigen, belastete Beziehungen wieder zu stärken. Auch ohne mit den verschwörungs­gläubigen Personen direkt zusammen­zuarbeiten, kann mithilfe von Veritas eine langfristige Veränderung in Gang ­gebracht werden. „Denn“, so die Beratungsstelle,  „aus unserer Erfahrung wissen wir, dass das soziale ­Umfeld einen bedeutenden Einfluss auf Menschen ­haben kann.“

Das Team von Veritas erhält täglich Anfragen. Die studierten Berater*innen stammen größtenteils auch den Fachbereichen Soziologie, Pädagogik und Politikwissenschaften. Da sie vorwiegend im Homeoffice arbeiten, bitten sie die Ratsuchenden, sich zunächst per E-Mail an Veritas zu wenden. Häufig gestellte Fragen sind: Warum entwickeln Menschen solche abstrusen Theorien? Wie kann man damit umgehen? Welche Reaktionen sind hilfreich, wenn der beste Freund plötzlich Coronaleugner geworden ist oder sich die Ehefrau als Querdenkerin outet?

Bei Veritas spricht man darüber, wann Grenzen gesetzt werden sollten und warum es besser ist, sich nicht um Fakten zu streiten, sondern sich auf die Gefühle und Ängste des Gegenübers einzulassen. Acht grundsätzliche Tipps für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern hat das Team als eine Art Orientierung auf die Website gestellt. So heißt es dort beispielsweise: „Im Affekt zu streiten, ist wenig zielführend und trägt meistens dazu bei, dass emotionale Mauern hochgezogen werden. Wählen Sie stattdessen mit Bedacht, wann, wo und wie lange Sie sich Zeit für ein Gespräch nehmen wollen und verständigen Sie sich darüber mit Ihrem Gegenüber.

VH

 

Foto: Commons, Leonhard Lenz

Wie soll man mit Verschwörungserzählungen umgehen?

Foto: Commons, Leonhard Lenz

Demonstration und Gegendemonstartion um die Meinungshoheit