Soziales Engagement

Die Volkshochschulen – Erwachsenenbildung seit mehr als 100 Jahren

 

Die Idee, Kurse und Lehrgänge für nicht-akademische Erwachsene anzubieten, ist so alt noch nicht. In Deutschland begann sie im späten 19. Jahrhundert Gestalt anzunehmen. Als ihre Vorläufer im Kaiserreich gelten unter anderen die 1878 in Berlin gegründete Humboldt-Akademie, der 1890 in Frankfurt am Main ins Leben gerufene Bund für Volksbildung und vor allem die Freie Hochschule Berlin, die 1902 ihre Türen öffnete. Es war eine Zeit im Umbruch: der soziale Aufstiegswille der Arbeiterschaft war allseits erkennbar, ließ sich jedoch dauerhaft nur mit größerer Bildung realisieren. Neue Angebote wie eine in Berlin gegründete  Arbeiterbildungsschule waren deshalb gefragt. Und die neue Klientel nahm solche  Angebote mit Begeisterung an, wie der Kursbesuch von rund 5.000 Arbeitern kurz nach der Gründung 1891 bewies.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Ausrufung der Weimarer Republik begann dann der Siegeszug der Volkshochschulen. Im Artikel 148 der Reichsverfassung von 1919 wurde die Förderung des Bildungswesens, einschließlich der Volkshochschulen, erstmalig in Deutschland gesetzlich verankert. Mündige Bürger waren das Ziel der Zeit, um die junge und gefährdete Demokratie zu stärken. Wie groß die Sehnsucht nach Bildung war, zeigt allein schon die Tatsache, dass es im Jahr 1922, drei Jahre nach dieser Gesetzgebung, deutschlandweit bereits 800 (!) Volkshochschulen gab. Bildung für alle, nicht nur für einen kleinen und privilegierten Teil der Bevölkerung, lautete das Motto.

Zum riesigen Erfolg trug auch bei, dass die Art der Lehrmethodik ebenso revolutioniert wurde. Die sogenannte „Neue Richtung“ löste das  pädagogische Konzept von der reinen Wissensvermittlung ab. Die Kursteilnehmer wurden aufgefordert, sich nicht ausschließlich auf die Vorträge der Dozenten zu konzentrieren, sondern die Inhalte eigenständig zu erarbeiten und Inhalte kritisch nachzufragen. Gesprächsgruppen und Arbeitsgemeinschaften lösten den Frontalunterricht ab, die Bedürfnisse der Bevölkerung standen vielmehr plötzlich im Mittelpunkt.

Im Gegensatz zu  anderen deutschen Städten, in denen in der Regel eine Volkshochschule existiert, kann die Bundeshauptstadt Berlin gleich mit mehreren Volkshochschulen aufwarten. Genauer gesagt mit zwölf, denn in jedem Berliner Bezirk befindet sich eine.  Weite Anfahrtswege – mitunter ein triftiger Hinderungsgrund beim Belegen von Bildungskursen – fallen dementsprechend weg. Die Auswahl der Kurse vielfältig und höchst attraktiv. Gemäß den VHS-Richtlinien wird Unterricht zu folgenden Themenbereiche angeboten: Grundbildung; Arbeit und Beruf; Sprachen; Gesundheitsbildung; Kulturelle Bildung; Politische Bildung; Digitale Entwicklungen und der wichtige Bereich Integration – unter anderem mit Deutschkursen für Migranten. Nicht jede Berliner VHS deckt alle Bereiche ab, aber innerhalb dieser feststehenden Rubriken sind die einzelnen Angebote der jeweiligen Einrichtungen geordnet. Bei einigen Volkshochschulen kann man auch Schulabschlüsse (Berufsbildungsreife, mittlerer Schulabschluss, Abitur) nachholen.

Die Preise für VHS-Kurse sind gemäß den gesetzlichen Vorgaben sehr moderat. Hinzu kommt, dass es für etliche Personenkreise ein ermäßigtes Entgelt in Höhe von 50 Prozent je Unterrichtseinheit gibt. Dazu zählen unter anderen Empfänger*innen von Sozialhilfe, Grundsicherung und ALG II, Asylbewerber*innen, Schüler*innen, Studierende sowie Auszubildende.

In Deutschland gibt es zurzeit rund 900 Volkshochschulen, in denen hauptberuflich Pädagogen, Verwaltungsmitarbeiter*innen sowie Honorarkräfte für die Veranstaltungen tätig sind. Als Grundpfeiler der Erwachsenenbildung sind die Volkshochschulen dem Prinzip des lebenslangen Lernens verpflichtet. Dieses in den 1960er Jahren entwickelte Konzept soll alle Menschen befähigen, während ihrer gesamten Lebensspanne in der Lage zu sein, das Wissen durch Lernen zu erweitern. Es gibt ein verbrieftes Recht auf Bildung und ein Anspruch auf Chancengerechtigkeit. Letzteres meint die gerechten Bedingungen und Voraussetzungen bei Ausbildung, Karriere und gesellschaftlich-sozialer Entwicklung – ganz unabhängig von sozialer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder Geschlecht.

Die weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen lassen ahnen, welche Bedeutung den Volkshochschulen in Zukunft beizumessen sein wird. Finanziert wird die VHS übrigens aus den Teilnahmegebühren, öffentlichen Zuschüssen von Kommunen und Ländern und durch Einnahmen aus Drittmitteln wie etwa  Fördermittel des Bundes, der Bundesagentur für Arbeit oder Projektzuschüsse aus dem Europäischen Sozialfonds.

Das Verständnis der VHS ist also viel umfassender als nur auf die Weiterbildung für eine steile Karriere von einzelnen Personen ausgelegt. Der Grundgedanke ist vielmehr die Teilhabe und Unterstützung aller Menschen im Bereich Bildung. Das bedeutet, dass gesonderte Hilfsangebote für eine Grundbildung zur Verfügung stehen. Das Paradebeispiel lautet daher stets: bei rund 2,5 Millionen Menschen hierzulande, die nicht richtig lesen und schreiben können, muss die Hilfe bereits an dieser Stelle ansetzen. Ein Verständnis der deutschen Sprache sowie ein selbstverständlicher und souveräner Umgang damit ist Grundvoraussetzung dafür, an weiterbildenden VHS-Kursen teilnehmen zu können. Studienreisen, Vorträge Exkursionen und Berufsberatung runden das vielfältige Angebotsspektrum ab.

VH

 

Foto: Commons, Jörg Zägel

Die VHS in Berlin-Kreuzberg