Gestern und heute

Kurt Wolf erzählt

 

Als die große Berliner Bauausstellung „Interbau“ 1957 eröffnet wurde, konnten ihre Besucher die Bauwerke im Hansaviertel zu Fuß besichtigen oder mithilfe einer Seilbahn. Diese Seilbahn besaß 95 Gondeln und fuhr 1,8 Kilometer in Form einer „Acht“ zwischen Bahnhof Zoo und dem Schloss Bellevue. In einer dieser Gondeln saßen eines Tages der 28-jährige Kurt Wolf* mit seiner frisch verheirateten Ehefrau Evelin und schwebten an den preisgekrönten Gebäuden vorbei. Was sie damals nicht ahnen konnten: ein Jahr später würden sie in eines dieser Gebäude einziehen, in ein Haus am Hanseatenweg, errichtet von Max Taut, dem jüngeren der berühmten Architektenbrüder Bruno und Max Taut. In diesem Haus lebt Kurt Wolf 62 Jahre später noch immer.

Geboren wurde der heutige Jahnke-Patient 1929 in Berlin. Sein Vater, Dreher von Beruf, konnte dem Filius die Mittelschule ermöglichen, für eine weitere schulische Laufbahn reichte das Gehalt nicht aus. Die gesamte Schulklasse des jungen Kurt war wegen der Bombardierungen Berlins durch die Alliierten im Rahmen der Kinderlandverschickung nach Brünn evakuiert worden. Im damaligen „Protektorat Böhmen und Mähren“ begann der junge Mann sich für den Funkverkehr zu interessieren und wollte daher eine Ausbildung zum Funker bei der Deutschen Reichspost beginnen. Nach der Rückkehr nach Berlin im Winter 1944 und dem baldigen Kriegsende konnte er schließlich ab Juni 1945 eine Verwaltungslehre bei der neugegründeten „Abteilung Post- und Fernmeldewesen des Magistrats von Berlin“ absolvieren. Bei der späteren Landespostdirektion Berlin blieb Kurt Wolf bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1991.

„Es war die unmittelbare Zeit nach der Wende“, erinnert er sich. „Viele Änderungen standen an, und es war ein guter Zeitpunkt, mich nach 46 Jahren von der Deutschen Post zu verabschieden.“

Mit seiner Frau, die er 1953 in einem Tanzlokal an der Krummen Lanke kennen gelernt hatte, war er zeitlebens viel gemeinsam auf Reisen gewesen. Anfangs beschränkte sich das noch auf Deutschland, später dehnte das Paar die Urlaube auf Europa aus. Gut in Erinnerung sind ihm noch die Fahrten mit einer BMW-Isetta an den Gardasee und nach Bergen in Norwegen. „Höchstgeschwindigkeit etwa 80 Stundenkilometer, aber nur bergab“, lacht Kurt Wolf. Die ersten Fernreisen dann in den 70er Jahren, Sri Lanka, USA und China hießen plötzlich die Urlaubsziele. Bis zum Tod seiner Frau im Jahr 2018 waren beide sehr mobil. Erst im letzten Jahr gab Kurt Wolf das Autofahren komplett auf.

Nach einem Sturz im Mai letzten Jahres und mehreren Operationen bekommt der ehemalige Postbeamte zweimal täglich Besuch von der Pflegestation Jahnke. „Vormittags hilft mir zumeist Maria, am Abend Heiko. Ich möchte mich an dieser Stelle bei beiden und bei allen anderen, die mir das Leben so angenehm wie möglich machen, ganz herzlich bedanken“, sagt er zum Abschied.                               

VH

*Name von der Redaktion geändert

 

Kurt Wolf in seinem Wohnzimmer