Im Kiez gekiebitzt

Das schmalste Haus Berlins

 

Mit den Superlativen ist das ja immer so eine Sache; was heute noch als das Größte, das Älteste, das Schönste oder das Billigste angesehen wird, ist morgen bereits überholt, weil das Superlativ einem anderen Objekt zugeordnet wird. Bei einem Haus im Berliner Stadtteil Wedding jedoch besteht die Hoffnung, dass der Rekord noch viele Jahre bestehen bleibt, denn seine Dimensionen sind so ungewöhnlich, dass kein moderner Architekt auf die Idee kommen würde, sie zu unterbieten. Das Haus in der Müllerstraße 156 d ist nämlich nur 4,98 Meter breit. Mit dieser Angabe erwähnt es die „Kleine Berlin-Statistik“ von 1992 als „Das schmalste Haus Berlins“, und seitdem hat kein anderes Gebäude die Anwartschaft auf Platz 1 der Hauptstadtliste angemeldet.

Die Müllerstraße war Ende des 19. Jahrhunderts eine rasch wachsende typische Hauptstraße der Gründerzeit. Das vom Betrachter aus gesehene rechte Gebäude unseres Hauses Nr. 156 c wurde 1891 fertiggestellt, auch das noch unbebaute Grundstück des linken Hauses erhielt im gleichen Jahr mit der 157 eine Hausnummer. Zwischen beiden Grundstücken blieb also nur eine knapp fünf Meter breite Lücke. Diese, so wird vermutet, diente zunächst als Anlieferungsplatz für Baumaterialien wie Balken, Backsteine, Fenster, Türen oder Stuckelemente. Nach Fertigstellung der Nachbargebäude wurde ein ein- oder zweistöckiges Provisorium gebaut, in dem zunächst eine Schmiede, ab 1893 ein Bierausschank Einzug hielten.

Wann genau auf diesem Grundstück die vier Stockwerke des schmalsten Hauses Berlins auf den Erdgeschosssockel hochgezogen wurden, lässt sich aus den Grund- und Adressbüchern nicht mehr genau eruieren. Im Jahr 1900 muss es jedoch fertig gewesen sein, denn ab dann weist es laut Adressbuch einen Eigentümer (Premierleutnant Baron Hermann August von Oppen) und einen Mieter auf: M. Fiedler, Bürstenfabrikant.

Mit nur zwei Fensterachsen pro Stockwerk – ein Fenster auf die Müllerstraße, eines auf den winzigen Hof – sind die Wohnungen des Hauses entsprechend klein geraten. Mit etwa 34 m² müssen sich die Bewohner begnügen, da ist es kein Wunder, dass sich so mancher Mieter im Laufe der Jahrzehnte gleich zwei Wohnungen übereinander geleistet hat. Im Jahr 1933 beispielsweise wohnten dort nur zwei Mieter:  M. Fiedler, Bürogehilfe und W. Richter, Glasbläser. Nach dem zweiten Weltkrieg wohnte dort der italienische Instrumentenbauer Nello Frati, später zog eine Zigarrenfirma ein.

1977 kaufte der italienische Eishersteller Franco dal Col das Haus und bezog Erdgeschoss und ersten Stock. Unten befindet sich seitdem der Eistresen sowie die Produktionsstätte in Edelstahl mit Milchkochern, Rührgeräten und allem, was man für die Eisherstellung braucht. Eine Etage höher lebt das Ehepaar da Col in seinen zwei Zimmern. Die seien groß genug, wie beide versichern.                                     

VH                  

 

Schmaler ist kein anderes Wohnhaus Berlins - Haus Nr. 156 d im Wedding