Nachgefragt

Interview mit Volker Hütte, Redakteur des Magazins Birkenblatt

 

Herr Hütte, 26 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe von Birkenblatt ist die vorliegende Ausgabe nun die endgültig letzte. Sie waren Mitgründer des Pflegemagazins, Redakteur und Autor der meisten Artikel. Was geht in Ihnen bei dem Gedanken, dass nun Schluss ist, durch den Kopf?

Zunächst einmal möchte ich eines betonen: Dass ich 26 Jahre lang die Beiträge für das Birkenblatt schreiben durfte, habe ich bis zum heutigen Tag als Geschenk betrachtet. Als ich im Sommer 1996 von Werner Jahnke den Auftrag bekam, ein stationseigenes Pflegemagazin mit einem Erscheinungszyklus von zwei Monaten zu entwickeln, hoffte ich auf eine Laufzeit von vielleicht fünf Jahren. Was daraus schließlich wurde, hat meine Erwartungen sowohl  bezüglich der Erscheinungsjahre als auch der unglaublich positiven Resonanz deutlich übertroffen.

Zum Abschied geht mir zurzeit wirklich vieles durch den Kopf. Neulich dachte ich, als wir 1996 begannen, war Helmut Kohl Bundeskanzler und der Regierende Bürgermeister von Berlin hieß Eberhard Diepgen. Aber auch die schwierigen Anfänge als mit dem Thema Pflege damals noch wenig vertrauter Journalist kommen in Erinnerung, die wertvolle Unterstützung von meinem Freund Holger Nickel, der sich zu Beginn um Grafik und Layout kümmerte, aber auch einige Artikel verfasste und natürlich die sehr ideenreiche, produktive und stets auf das gute Endprodukt gerichtete Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Jahnke. Auch die Tatsache, dass nach dem Inhaberwechsel vor zwei Jahren die neuen Verantwortlichen Rosa Lopez de la Rica und Daniel Korostylyow am Birkenblatt und meiner Person festgehalten haben, weiß ich zu schätzen.

Sie gehen nun aus freier Entscheidung. Was waren die Gründe für diesen Schritt?

Wenn man 26 Jahre für ein Magazin mitverantwortlich und als fast einziger Autor tätig ist, nutzen sich gewisse Dinge einfach ab. Vieles wird Routine, Abläufe und sogar Themen wiederholen sich. In den letzten Jahren habe ich in einem schleichenden Prozess gespürt, dass das Feuer und die Begeisterung doch ein wenig kleiner lodern. Da bin ich schon ins Grübeln geraten. Wie gerufen kam in dieser Zeit ein seriöses Angebot, beruflich etwas komplett Neues zu beginnen. Seit zwei Jahren arbeite ich bei einem betriebsärztlichen Unternehmen in Berlin. Mit Beginn des neuen Jahres werde ich dort meine Wochenstunden deutlich aufstocken. Im Interessenkonflikt habe ich mich für die neue Herausforderung entschieden.

Was hat sie während der langen Zeit als Birkenblatt-Redakteur am meisten erstaunt und bewegt?

Zum Beispiel hat mich immer wieder verblüfft, dass mich viele Menschen gefragt haben, woher das Birkenblatt seinen Namen hat. Dabei dachten wir nach der Auswahl des Magazinnamens, dass dies doch offensichtlich wäre, schließlich hat die Pflegestation Jahnke ihren Sitz in der Birkenstraße in Moabit.

Zum anderen – und das hat sich wirklich zum Klassiker entwickelt – bekam ich bei meinen Besuchen bei den Patientinnen oder Patienten oft zu hören: „Sie wollen über mich etwas schreiben? Aber ich habe doch nichts Besonderes erlebt, ich kann doch gar nichts erzählen.“ Kurioserweise war es am Ende dann häufig so, dass diese Personen gar nicht mehr aufhörten zu erzählen. Einmal ins Reden gekommen, lief der Film ihres Lebens vor ihrem geistigen Auge ab. Fröhliches und Tragisches kamen zum Vorschein, sie erinnerten sich plötzlich auch an Geschehnisse, die sie vergessen, häufig auch verdrängt hatten. Das waren mitunter sehr emotionale, bewegende Gespräche und eigentlich immer sehr spannende.

Gab es rückblickend Höhepunkte Ihrer Arbeit für das Birkenblatt?

Es gab nicht die zwei oder drei Höhepunkte, von denen ich den Rest meines Lebens erzählen könnte. Vielmehr war es die Vielfalt der Begegnungen, die mich begeistert hat. Mit Künstler:innen wie Iris Berben, Angelika Milster, Peter Lohmeyer oder Esther Haase bei einem Kaffee oder Bier zum Interview zusammenzusitzen, war schon außergewöhnlich. Anderseits erinnere ich mich an Gespräche mit Mitarbeiter:innen der Pflegestation Jahnke und mit Patient:innen, die mich tief beeindruckt haben. 

Und bei der Suche nach originellen Kiez-Geschichten und Traditionsunternehmen bin ich an überraschende und verrückte Orte gelangt, die ich ansonsten vermutlich nie entdeckt hätte. Die einstige tadschikische Teestube am Maxim-Gorki-Theater etwa, früher der ganze Stolz der DDR. Das verwunschene Fort Hahneberg in Spandau fällt mir ein, die beispiellose Unterwelt im Wedding, schräge Künstlerateliers, piekfeine Restaurants, Eckkneipen mit der Patina von Jahrzehnten, handwerkliche  Kleinunternehmer, die oft zu den letzten ihrer Zunft zählten.

Was bleibt am Ende vom Birkenblatt?

Vom Birkenblatt bleiben meine vier prall gefüllten Aktenordner mit zurzeit noch 151 Ausgaben (lacht). Es bleibt bei mir durch die langjährige Arbeit am Birkenblatt auch die Erkenntnis, dass die ambulante Pflege ein faszinierendes, facettenreiches Berufsfeld ist, deren Protagonisten jetzt langsam die Anerkennung erhalten könnten, die sie schon lange verdienen (siehe dazu: Artikel auf Seite 14-15). Und es bleibt die Freude darüber, dass sowohl meine Frau als auch meine Tochter sich durch Artikel oder Fotografien an der Erstellung einzelner Birkenblatt-Ausgaben beteiligt haben.

Das Interview führte Michael von Finckenstein

Foto: Dietmar Gust

Volker Hütte, geboren 1959 in Frankfurt am Main, studierte nach dem Abitur Geschichtswissenschaften, Germanistik und Anglistik und schloss mit dem Magister Artium ab. Im Jahr 1993 zog er nach Berlin, arbeitete dort für drei Jahre in einem Verlag, ehe er 1996 beschloss, freiberuflich journalistisch zu arbeiten. Einer seiner ersten Auftraggeber wurde die Pflegestation Jahnke. Seitdem arbeitet Volker Hütte hauptsächlich für Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Er ist Gründer und Leiter des Archivs der Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt am Main, Europas satzungsgemäß einziger interreligiöser Senioreneinrichtung, in der je zur Hälfte Juden und Christen wohnen.